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Barmherzigkeit oder Gesetz

Landesbischof Wolfgang Huber wirft Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm eine herzlose Flüchtlingspolitik vor. Der Minister meint dagegen, Barmherzigkeit sei Privatsache. Ein Streitgespräch

Interview PHILIPP GESSLER und ANDREAS SPANNBAUER

taz: Herr Bischof Huber, Ihr Pfarrer Olaf Schmidt hat eine vietnamesische Familie vor der Abschiebung gerettet. Er nennt die Politik des Brandenburger Innenministeriums „klar ausländerfeindlich“. Teilen Sie seine Meinung?

Wolfgang Huber: Ich will kein pauschales Urteil fällen. Ich habe aber in einigen Fällen interveniert, in denen die Behörden ihren Ermessensspielraum nicht genutzt haben. Erst daraufhin hat das Innenministerium seine Entscheidungen geändert.

Sie haben auch gesagt, dass die Grund- und Menschenrechte in Brandenburg nicht gewahrt sind.

Huber: Das habe ich auch so gesehen. Für mich hat der Schutz von Ehe und Familie Vorrang vor dem Ausländerrecht.

Jörg Schönbohm: Ich bin auch für den Schutz von Ehe und Familie. Wir haben letztendlich die Abschiebung der Vietnamesen ausgesetzt, weil wir wollen, dass die Familie bis nach der Entbindung zusammenbleibt und dann gemeinsam ausreist. Sie müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass die vietnamesische Familie seit 1991 im Land war – ohne Anspruch aus Asyl.

Herr Schönbohm, mit dieser rigiden Abschiebepraxis geben Sie doch Rechtsextremisten Rückenwind. Und Sie freuen sich auch noch darüber, dass Ihnen dieses harte Auftreten sogar Wählerstimmen beschert!

Schönbohm: Falsch! Da wird viel behauptet. Entscheidend aber sind doch die Taten! Seit ich Innenminister bin, sind die polizeilichen Maßnahmen gegen den Rechtsextremismus verschärft worden. Wir haben Fahrzeuge eingezogen, die als Tatwerkzeuge missbraucht wurden. Die Zahl rechtsradikaler Straftaten hat sich seit 1997 halbiert. Alle Experten sind sich einig, dass man dieses Ausmaß der polizeilichen Maßnahmen kaum noch steigern kann.

Huber: Gewalttäter muss die Polizei bekämpfen. Aber um die rechtsradikale Gesinnung in den Griff zu bekommen, muss mehr passieren: Politiker müssen an ihren eigenen Kriterien und durch ihr eigenes Handeln zeigen, dass sie von der gleichen Würde jeder menschlichen Person ausgehen. Anders gesagt: Ausländerinnen und Ausländer müssen als Rechtssubjekte genauso geachtet werden wie Menschen mit deutschem Pass.

Herr Schönbohm hat gesagt, die Debatte um den Rechtsextremismus sei nur inszeniert, um der CDU zu schaden.

Huber: Ich wehre mich dagegen, dass diese Debatte parteipolitisch instrumentalisiert wird. Herr Schönbohm sollte den Eindruck zurechtrücken, dass er seinerseits diese Debatte zu einem Kampf gegen Rot-Grün instrumentalisiert.

Schönbohm: Ich habe diese Debatte nicht begonnen und nicht instrumentalisiert. Wenn die Kirche und Rot-Grün den Verantwortungsträgern in der Ausländerbehörde vorwerfen, sie seien inhuman, dann werde ich mich auch in Zukunft dagegen wehren. Im Moment findet eine Diskussion statt: „Innenminister Schönbohm ist ein Rassist und schützt Rechtsradikale.“ Diese schlimme Karikatur über mich in den Zeitungen erinnert mich an die Zeiten des Stürmer. Wenn man so angefasst wird, muss man reagieren. Wir sollten lieber nach Gemeinsamkeiten suchen, wie man mit den Ursachen des Rechtsextremismus umgeht. Ich verweise auf die Protagonisten der 68er und ihre fehlende Wertevermittlung.

Stichwort Wertevermittlung: Generalsuperintendent Rolf Wischnath von der evangelischen Kirche in Brandenburg, wirft Ihrer Behörde vor, sie praktiziere„institutionalisierte Unbarmherzigkeit“.

Schönbohm: „Institutionalisisierte Unbarmherzigkeit“ ist griffig, aber falsch. Die Mitarbeiter in den Ausländerbehörden entscheiden nach bestem Wissen und Gewissen über menschliche Schicksale. Der Ermessensspielraum, den der Gesetzgeber zulässt, ist nicht sehr groß.

Huber: Die Duldung des vietnamesischen Vaters und seines Sohnes auszusprechen, wäre auch schon im Mai möglich gewesen und nicht erst nach der Intervention der Kirche.

Schönbohm: Nein, denn Vater und Sohn waren in der Kirche, noch bevor die Behörde die Flugtauglichkeiten überprüfen konnte. Ich wehre mich dagegen, dass die Mitarbeiter der Ausländerbehörden als unbarmherzige Apparatschiks stigmatisiert werden. Da sind Leute dabei, die haben schlaflose Nächte, weil sie über menschliche Schicksale entscheiden.

Huber: Es gab aber mehrere Fälle, in denen der Ermessensspielraum nicht ausgenutzt worden ist, sondern das Recht sehr eng ausgelegt wurde. Deshalb plädiere ich für eine Härtefallkommission, in der über solche Dinge geredet werden kann.

Schönbohm: Es gab in Berlin eine Härtefallkommission. Die Ergebnisse waren nicht gerade inspirierend. Eine institutionalisierte Härtefallkommission halte ich deshalb nicht für hilfreich.

Manche empfinden Ihre Ankündigung, sich künftig persönlich mit einzelnen Fällen zu beschäftigen, als Drohung. Nach Ihren Aussagen zur Ausländerpolitik ist Barmherzigkeit nicht zu erwarten.

Schönbohm: Das ist auch nicht meine Aufgabe. Wir handeln nach Recht und Gesetz. Dazu gehören auch Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit. Ein barmherziger Samariter zu sein ist eine Kategorie des Privaten.

Huber: Der barmherzige Samariter hat aber nicht gegen das Recht verstoßen.

Schönbohm: Ich habe zu Hause eine Bibel. Ich werde das noch heute Nacht nachlesen. Mir geht es darum, dass man keine Präzedenzfälle schafft. Da brechen sonst Rechtspositionen des Staates weg, die in anderen Fällen zu Ungerechtigkeiten führen.

Werden Sie den Ermessensspielraum zugunsten der Betroffenen nutzen, wenn Sie die Härtefälle selbst in die Hand nehmen?

Schönbohm: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Es wird individuell geprüft und nicht pauschal entschieden.

Huber: Sie haben ausdrücklich gesagt, man müsse Verständnis dafür zeigen, dass sich in Brandenburg rechtsextreme Entwicklungen zeigen. Man müsse daran denken, was die Menschen in den letzten zehn Jahren durchgemacht hätten. Die Art von Härte, die sie gegenüber Ausländern an den Tag legen, scheint nicht nur dem Umstand geschuldet zu sein, dass sie dem Recht zum Durchbruch verhelfen müssen. Sie wollen die Menschen am rechten Rand integrieren. Gilt nicht auch für Sie die Erfahrung Ihres Ministerpräsident Manfred Stolpe: Verständnis ist der falsche Weg, wenn in Menschen erster und zweiter Klasse eingeteilt wird.

Schönbohm: Ich war bisher zweimal in dem Cottbusser Jugendclub Flash 29, der als rechtsradikal gilt. Ich habe mich mit den Leuten unterhalten. Die sind ausländerfeindlich, aber die haben keinen rechtsradikalen Hintergrund. Keiner dieser Jugendlichen kannte einen Ausländer. Ich möchte die jungen Menschen, die in nach außen abgeschlossenen Gruppen leben, da rausholen. Diese so genannten Rechten prügeln sich regelmäßig mit den so genannten Linken. Deshalb machen wir zum Beispiel Kicken gegen Gewalt ...

Huber: Das funktioniert nur, wenn man zwischen den Personen und ihren Haltungen unterscheidet und klar sagt: Deine Haltung ist schlicht inakzeptabel.

Schönbohm: Genau das habe ich gemacht. Ich habe den Jugendlichen erklärt, dass über 50 Prozent der Arbeitsplätze vom Export abhängen, dass wir ausländische Investoren in Brandenburg haben, dass das Ausland nicht feindlich ist. Als dann einer vom „Zeckenklatschen“ erzählen wollte, habe ich ihm gesagt: Wenn du das noch einmal sagst, dann gehe ich.

Sie bestätigen rechten Jugendlichen einen „Diskussionsbedarf beim Thema Ausländer“. Dürfen die sich da nicht bestätigt fühlen?

Schönbohm: Die Alternative lautet doch, diese Jugendlichen abzuschreiben. Warum denn? Wir bemühen uns, jungen Menschen eine Perspektive zu geben. Mit Kadern der NPD diskutiere ich nicht, die sind Überzeugungstäter. Aber um die jungen Menschen muss man kämpfen. Aus der Polizeistatistik geht hervor, dass diejenigen, die rechtsradikale Symbole zeigen, überwiegend zwischen 14 und 21 Jahre alt sind. Die wissen gar nicht, wofür die Symbole stehen. Die wissen nichts vom Holocaust, die wissen nichts. Die wissen nur, wenn sie das machen, dann erreichen sie öffentliche Aufmerksamkeit. Wollen Sie denn jugendliche Mitläufer und gewaltbereite Jugendliche aufgeben?

Die Wähler der NSDAP waren auch nicht gerade Politologen.

Schönbohm: Über die NSDAP können wir gerne ein eigenes Colloquium machen, das habe ich seit 40 Jahren rauf und runter diskutiert. Ich habe jedenfalls die Erfahrung gemacht, dass diese jungen Menschen Berufserfahrung und Lebensautorität anerkennen. Ich glaube, man braucht vor allem ältere Menschen, die ihnen sagen, wie sie auch ihr Leben mit Hass und Gewalt kaputtmachen.

Huber: In dem Augenblick, wo Gewalt gegen Fremde ausgeübt wird, kann ich in keinem Fall noch von Mitläufern reden. Andererseits darf man nicht alle in die Ecke stellen, als seien sie für die Demokratie verloren.

Indem Sie, Herr Schönbohm, rechtsradikale Gewalttäter für betreuungswürdig erklären, werden die doch verharmlost.

Schönbohm: Wie kommen Sie dazu zu sagen, ich will Gewalttäter betreuen? Das ist eine Formulierung, die finde ich schlichtweg unglaublich. Hören Sie auf, mir hier Dinge zu unterstellen. Gewalttäter von links, von rechts, egal, Gewalttäter werden verfolgt und bestraft.

Herr Huber, Ihr Kollege Eppelmann hat Ihnen vorgehalten, in einem Rechtsstaat sei das Kirchenasyl überflüssig.

Huber: Ich halte das Gemeindeasyl für legal. Die vietnamesische Familie, die die Kirche aufgenommen hat, wäre um ein Haar abgeschoben worden. Jetzt hat der Innenminister die Entscheidung korrigiert – im Rahmen rechtsstaatlicher Möglichkeiten. Wir nehmen das in unserer Kirche nicht auf die leichte Schulter. Niemand macht das aus Spaß oder aus Revolte gegen den Rechtsstaat. Niemand will sich außerhalb des Rechtsstaates stellen. Wir wollen, dass Menschen in diesem Staat zu ihrem Recht kommen. Wir haben uns in den vergangenen sechs Jahren, in denen ich Bischof bin, als Kirchenleitung immer auf die Seite der Gemeinden gestellt, dass sie im Sinne unserer Kriterien kurzfristig Nothilfe geleistet haben. In vielen Fällen hat das dazu beigetragen, dass ein Stück Barmherzigkeit geübt werden konnte. In Berlin-Brandenburg gab es keinen Fall von Kirchenasyl, der nicht gut begründet war.

Herr Schönbohm, handelt es sich wirklich um legale Aktionen?

Schönbohm: Es wird Sie überraschen, dass ich dem nicht zustimme. Zur Abschiebung kommt es ja normalerweise erst dann, wenn Verwaltungsgerichte gesprochen haben. Ich habe bei der vietnamesischen Familie auch keine Entscheidung korrigiert, sondern die Abschiebung bis nach der Geburt des Kindes ausgesetzt.

Huber: Wir nehmen nur eine eigenständige Prüfung des Sachverhalts in Anspruch. Und der sind Sie faktisch gefolgt.

Herr Huber hat Ihnen vorgeworfen, Sie würden es in der Ausländerpolitik an Herz fehlen lassen, weil Sie nur kühle Rechtspositionen vertreten.

Schönbohm: Wer mich kennt weiß, dass dies nichts mit fehlendem Herz zu tun hat. Ich bin nur konsequent und bemühe mich, das geltende Recht verlässlich umzusetzen.

Herr Huber, bleiben Sie denn bei Ihrer Kritik?

Huber: In Briefen hat Herr Schönbohm eine große Distanz zu der menschlichen Situation der Betroffenen gezeigt. Ich habe nie ein generelles Urteil über Herrn Schönbohm als Person gesprochen. Wir müssen lernen, in einer Art miteinander zu reden, die den anderen in seiner Integrität nicht verletzt. Ich habe an Sie, Herr Schönbohm, am 18. Juli einen Brief geschrieben und finde ihn dann in der Presse wieder – die Zuspitzungen kamen also nicht von mir. Worauf es mir aber eigentlich ankommt: Bei der Flüchtlingspoltik kommen Unbarmherzigkeiten heraus, die nicht akzeptabel sind. Ich weiss, dass der Rechtsstaat manchmal auch notwendigerweise unbarmherzig sein muss.

Schönbohm: Ich habe das Schreiben nicht an die Presse gegeben. Der Dissens besteht doch darin, dass wir sagen, das staatliche Handeln beruht auf Recht und Gesetz. Der Bischof dagegen sagt, das sei kalt und unbarmherzig. Was mich ärgert, ist die Verselbständigung, wie sie dann in der Zeitung steht: „Bischof Huber: Schönbohm verstößt gegen grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie ...“

Huber: Dann muss ich aber auch sagen, dass ich mich ärgere, wenn Sie mir öffentlich vorwerfen, ich würde falsches Zeugnis gegenüber meinem Nächsten ablegen.

Schönbohm: Das sollten Sie auch. (Zögert) Vielleicht sollten wir ein anderes Mal reden.

Huber: Ich habe Ihnen noch versprochen zu sagen, was Sie heute Abend lesen können, nämlich Lukas 10, 25 ff.: „Der barmherzige Samariter“.

Schönbohm: (schreibt mit) Ja, vielen Dank.

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