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Kriminell-bedrohlich oder legal-demokratisch?

Die Antifa habe nur ein Politkonzept: Gewalt. Behauptet der Verfassungsschutz. Antifaschistische Jugendliche fühlen sich diffamiert

Beschwört der Verfassungsschutz Dämonen? Sieht er Steine schleudernde Krawallfans, wo sich nur Jugendliche gegen Neofaschisten engagieren? Im Haus der Demokratie und Menschenrechte stand am Donnerstagabend zur Diskussion, ob jene, die gegen Rechtsextreme eintreten, zu Unrecht als Verfassungsfeinde gebrandmarkt werden.

Jürgen Seifert, emeritierter Politikprofessor aus Hannover, hält den Verfassungsschutz für reformbedürftig. „Es ist allein Sache der Gerichte, festzustellen, wer die Verfassung missachtet“, betonte Seifert. Eine Behörde dürfe sich hingegen nicht anmaßen, Menschen zu diffamieren.

Den Anstoß für die Diskussion gab eine Broschüre des Berliner Landesamts für Verfassungsschutz. Ihr Titel: „Antifa heißt Angriff. Antifaschismus als Deckmantel für Gewalt“. Ihr Ziel: „die Öffentlichkeit über Themen aus dem Aufgabenbereich der Behörde“ aufzuklären und zu „einer objektiven Meinungsbildung beizutragen“. Diese Objektivität würzt sie mit markigen Worten: Die Antifa „indoktriniert“ und „manipuliert“ junge Menschen und habe sich „zu einem ernsthaften Bedrohungsmoment“ entwickelt. Ihre „kriminelle Handlungsweise“ überdecke sie mit einem „vorgeschobenen Kampf gegen Rechts“.

Zwar räumte auch Seifert ein, dass manchmal „frustierten jungen Menschen“ Gewalt „als letzter Weg“ erscheine. Doch anwesende Antifa-Aktivisten wehrten sich gegen das Image des randalierwütigen Staatszersetzers. „Wir verstehen uns als legal und demokratisch“, sagte ein junger Antifaschist. Dennoch werde er „vom Verfassungsschutz überwacht, wenn ich nur mit meiner Mutter Rezepte austausche“. Zudem schädige schon der bloße Verdacht, ein Verfassungsfeind zu sein: „Selbst wenn das Gerichtsverfahren hinterher eingestellt wird, sind die Leute finanziell und beruflich ruiniert.“

Marei Pelzer, Vizevorsitzende der JungdemokratInnen, kritisierte, mit welch „hahnebüchener Begründung“ dieses Jahr ihr Jugendverband als grundgesetzfeindlich eingestuft woden sei: Die Forderungen nach Abschaffung der Wehrpflicht und Legalisierung von Drogen hätten die Verfassungshüter als Angriff auf die Demokratie gewertet.

Schon länger ist das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz verrufen – nicht nur bei Antifas. Seine Mitarbeiter gelten als unqualifiziert und in alte Seilschaften verstrickt. Und vor zehn Tagen warf ihm die PDS vor, die Anzahl rechter Gewalttaten zu verharmlosen. Die Behörde selbst rechtfertigte ihre Statistik: Man berechne diese Übergriffe nach einem neuen Modus, der die geringere Zahl erkläre.

Doch selbst Innensenator Eckart Werthebach (CDU) sieht strukturelle Probleme in dem ihm untergeordneten Landesamt. Die Konsequenz: Der Verfassungsschutz wird reformiert, das Landesamt aufgelöst, und seine Aufgaben werden einer Abteilung der Innenverwaltung übertragen. Und wenigstens in einem Punkt gleichen Werthebachs Wünsche denen der Antifas: Die Verfassungsschützer sollen sich mehr um rechte Jugendliche kümmern, sagte der Innensenator unlängst.

COSIMA SCHMITT

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