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Und keiner blieb in Cottbus

„Der letzte Jahrgang – Erwachsen werden zwischen DDR und BRD“ präsentiert eindringliche Lebensläufe junger Menschen zwischen zwei nahen, fernen Welten (So., 21.00 Uhr, West 3)

von STEFFEN GRIMBERG

„Unter Honecker kamen wir ins Gymnasium, unter Kohl haben wir es verlassen“ – dieser Satz zieht sich wie ein Leitfaden durch die Dokumentation. 1993 machten die 15 SchülerInnen einer mittlerweile zum Gymnasium umfunktionierten Erweiterten Oberschule ihr Abitur.

Ort: Die Industriestadt Cottbus, zu DDR-Zeiten wichtiger Produktionsort für Textilien, Exportware, die auch im Westen Absatz findet – und die ab 1990 doch keiner mehr haben will.

Zehn Jahre nach der Vereinigung von Deutschland Ost und Deutschland West, sieben Jahre nach dem Schulabschluss, hat einer dieser Abiturienten Erinnerungen, Erwartungen und die heutige Befindlichkeit seiner ehemaligen MitschülerInnen exemplarisch aufgezeichnet.

Ein Glücksfall: Peter Dammaschk, 1989 15 Jahre alt, hat gleich nach der „Wende“ angefangen zu filmen. Diese Aufnahmen konstratiert er nun geschickt mit den Porträts im Hier und Jetzt.

In Cottbus ist keiner von ihnen geblieben.

Tom, dessen Vater Volkspolizist war und im Herbst 1989 zwischen die Fronten geriet, als er zur Sicherung der Grenze zur Tschechoslowakei abkommandiert wurde, war seinem Berufsziel treu: nicht mehr Volkspolizist, sondern bald Wachdienstführer bei einer Polizeistaffel in Brandenburg. Karrierebewusst („Dann hab ich 12 Leute unter mir, und die müssen machen, was ich sage. Tolle Sache.“) und trotzdem kreuzsympathisch.

Holger, der ehemalige Punk, ist Medizinstudent in Halle an der Saale. Die alten Utopien sind hier zwar auch verwischt. Doch Holger nimmt man den Engagierten ab, wenn er sich über die Merkwürdigkeit äußert, dass 1989 alle gegen die Überwachungskameras der DDR-Staatssicherheit protestierten, die Video-Überwachung öffentlicher Plätze in Halle durch die Polizei aber offenbar von der schweigenden Mehrheit akzeptiert wird: „Was machen heute die Leute, die damals dagegen waren? Die sind doch nicht alle tot.“

Andrea und Dana sind dagegen zum Studium in den Westen gegangen, nach Hannover. Was für die Bauingenieurin Andrea ein glatter Durchmarsch zum Zwölfstundenjob im Ruhrgebiet wurde, geriet für Dana erst einmal zum Alptraum. Kein Kontakt zu den stiefen Hannoveranern, Gesundheitsprobleme, Unsicherheit. Heute studiert sie Medizin in Berlin.

Verwoben mit diesen Einzelporträts und durch sie hindurch zieht sich nicht nur Sophokles’ Antigone, 1993 im gemeinsamen Deutschunterricht aufgeführt und von Dammaschk auf Video verewigt, sondern auch Lehrfilme aus dem DDR-Unterrichtsalltag und erste private Filmaufnahmen: die Besetzung des Dorfes Lakoma im Sommer 1992, dass heute immer noch besetzt ist und immer noch der Braunkohle zum Opfer fallen soll, ein Klassentreffen irgendwann nach dem Abitur.

Die Bilanz nach zehn Jahren Einheit ist nüchtern und optimistisch zugleich: „Es entwickelt sich wenig zurzeit“, sagt Andrea, die jetzt als einzige in der alten BRD lebt: „Einfach ist das nicht, weil sich Ost und West nicht viel näher gekommen sind.“ Dennoch: „Wir sind bis zur Wende groß geworden und haben viele gute Sachen mitbekommen. Und dann kam die Wende, und wir haben uns weiterentwickeln können ...“

Ein Manko hat Dammaschks Film: Über ihn, der ebenfalls in den Westen ging, erfährt man so gut wie nichts. Anscheinend ist auch er zurückgekommen.

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