Offene Agitation

Wie sich Australien an der Verarbeitung der Aborigines-Spiele versucht

aus Sydney MATTI LIESKE

Dass die Olympischen Spiele wohl tatsächlich zu Ende sein müssen, ist am deutlichsten am Darling Harbour zu spüren. Zwar wurde den Besuchern am Abend danach noch einmal ein ansehnliches Feuerwerk spendiert, dennoch war alles anders. Plötzlich kam jeder zügig voran, das „Aussie, Aussie, Aussie“ kam nur noch zaghaft, und die Beschäftigten der vielen Restaurants schauten nicht mehr so genervt und angewidert, wenn noch ein Gast auf ihr Etablissement zusteuerte.

So ganz können es die Sydneysider trotzdem noch nicht glauben, dass die gestrige Konfettiparade für das australische Olympiateam nach all den Jahren der Kontroversen-gespickten Vorbereitung und den 17 glanzvoll-fröhlichen Olympiatagen das letzte Hurra der Spiele 2000 gewesen sein soll. Um den Draht zu dem Ereignis, das ihre Stadt zwei Wochen lang zum Nabel der Welt werden ließ, nicht gleich zu verlieren, wird emsig Fazit gezogen, gestritten, aufgearbeitet und versucht, den olympischen Schub in die Zukunft zu wenden. Alle nehmen sich vor, künftig auch ohne Olympia nett zueinander zu sein – außer Olympiaminister Michael Knight.

Der ist dabei, einen neuen Tiefpunkt seiner Beliebtheit anzusteuern, nachdem er beim IOC dafür gesorgt hat, dass der populäre Organisationschef Sandy Holloway von IOC-Präsident Samaranch nicht, wie er, den Olympischen Orden in Gold erhielt, sondern nur den silbernen, und dies bei der Abschlussfeier, sondern beim Mitarbeiterfrühstück am nächsten Morgen.

Die Abschlussfeier ist das am heftigsten debattierte Relikt olympischer Umtriebe, war es doch die politischste Zeremonie, die Olympia seit 1936 gesehen hat. Nach der eher lyrischen Verarbeitung des Aborigines-Themas bei der Eröffnung wartete das Finale mit offener Agitation auf, und es kam knüppeldick für den im Olympiastadion anwesenden Premierminister John Howard. Nach ausgiebigen Debatten durfte die Aborigines-Band Yothu Yindi tatsächlich ihren berühmten Song „Treaty“ mit den Zeilen „Words are easy, words are cheap, cheaper than our priceless land“ spielen, Savage-Gardens-Sänger trat mit der Aborigines-Fahne auf dem Hemd auf, und Midnight Oil spielte nicht nur „Beds are burning“, ihren alten Hit, der den Kampf der Aborigines für Landrechte unterstützt, sondern betraten die Bühne mit Anzügen, auf denen groß „Sorry“ stand, jenes Wort, das Howard den Aborigines beharrlich verweigert.

Wenn Cathy Freeman und diese Olympischen Spiele etwas bewirkt haben, dann, die Sinne der australischen Bevölkerung für die Aborigines-Problematik zu schärfen und dafür zu sorgen, dass den Forderungen der Ureinwohner mit mehr Verständnis begegnet wird als vorher. Eine Entwicklung, die Hardlinern wie Howard ein Gräuel ist. Seine unbeholfenen Versuche, die Spiele zum Imagegewinn zu nutzen, waren endgültig fehlgeschlagen, nachdem er als wohl einziger Australier den Sieg von Cathy Freeman nicht als das herausragende Ereignis dieser Spiele empfand. Anerkennung sprach er für die Läuferin nie aus, ohne gleichzeitig die Leistungen anderer australischer Sportler herauszustellen, und den gröbsten Missgriff leistete er sich, als er Freemans Gold und das Silber der vor vier Jahren immigrierten Stabhochspringerin Grigorjewa gleichsetzte. Beides keine richtigen Australier, aber wir sind ja großzügig, so die gängige Interpretation des Howard’schen Denkens.

Gestern wurde ein Papier der Regierung bekannt, das vorsieht, den Kampf für Landrechte gesetzlich zu beenden, Wasserrechte der Aborigines zu begrenzen und die Kontrolle der Aborigines-Landräte über heilige Stätten einzuschränken. „Kaum 48 Stunden nachdem die Olympiabesucher die Stadt verlassen haben, ist die Regierung drauf und dran, die Versöhnung in Gefahr zu bringen“, erklärte Oppositionssprecher Bob McMullan. Dass die Vorhaben den Senat passieren könnten, ist indes fast so unwahrscheinlich wie der Besuch von Wayne Bruce, dem mordsgestressten Kommissar des taz-Olympiakrimis, bei seiner alten Mutter im Seniorenheim.