: Erfahrungen von Solidarität
Parteinahme ganz ohne falsches Pathos: Das B-Movie zeigt im Oktober vier John Sayles-Filme aus den 80ern und 90ern ■ Von David Kleingers
Heißt das jetzt Synergie-Effekt? Da präsentiert das B-Movie seine kurze Werkschau mit Filmen von John Sayles, und prompt erscheint im aktuellen Film-Dienst ein vierseitiges Porträt des amerikanischen Filmemachers. Auch wenn die Parallelität der Erinnerungsarbeit wohl kaum geplant war, umso erfreulicher ist sie gerade im Fall Sayles. Denn in mehr als zwei Jahrzehnten hat sich der Autor-Regisseur-Cutter-Schauspieler dank beharrlicher Unaufdringlichkeit nicht nur den Mainstream und das ebenso stromlinienförmige Independent-Starkino vom Hals gehalten, sondern leider auch eine Menge potentieller Zuschauer. Und während die Kritik jeden neuen Film von Sayles als Hoffnung für ein unprätentiöses Autorenkino feiert, vergammeln irgendwo die letzten Vorführkopien seiner frühen Arbeiten.
Das ist die ökonomische Kehrseite einer Karriere, die immer kurz vor dem ganz großen Publikumserfolg abbremst, und zugleich das Dilemma eines Künstlers, dessen Name die zugehörigen Arbeiten an Bekanntheit übertrifft. Nun finden immerhin vier Filme auf die Leinwand zurück, mit denen quantitativ zwar nur ein Ausschnitt sichtbar wird, die jedoch wichtige Zäsuren im Schaffen des ehemaligen Corman-Schülers markieren.
So lässt sich Matewan (1987) durchaus als Rück- und Neuorientierung nach einer wechselvollen Zeit als hochdotierter Drehbuch-Doktor, anerkannter Charakterdarsteller und unzufriedener Auftragsfilmer verstehen. Acht Jahre nach seinem Debüt mit Die Rückkehr nach Secaucus (1979) inszeniert Sayles in Matewan eine Episode aus dem Arbeitskampf, der Anfang der 20er Jahre das Kohlerevier West Virginias erschütterte. Frei von nostalgischer Patina entwirft der Film seinen historischen Konflikt entlang ethnischer, sozialer und ideologischer Demarkationslinien, deren Überwindung trotz eindeutiger Parteinahme kein falsches Pathos anhaftet.
Hier artikuliert Sayles ein linkes Selbstverständnis, das sich bewusst US-amerikanischer Folklore und regionalen Schauplätzen widmet. Gleichsam differenziert zeichnet der Film die psychologischen Landschaften seiner Protagonisten nach, wobei ihm die seltene Versöhnung materialistischer Kritik mit literarischen und filmischen Traditionen gelingt. Dementsprechend kenntnisreich platziert Matewan die Prosa John Steinbecks gleich neben der Ikonografie John Fords.
Auch in Passion Fish (1993) geht es um die Erfahrbarkeit von Solidarität, selbst wenn das porträtierte Gemeinwesen zunächst nur zwei Personen zählt: eine querschnittsgelähmte Ex-Schauspielerin (Mary McDonnell) findet mit Hilfe ihrer stoischen Pflegerin (Alfre Woodard) langsam ins Leben zurück. Aus derlei Zutaten rührt mancher gleich zehn große TV-Schmalzkuchen an, doch mit erstaunlicher Sicherheit umschiffen Sayles und sein Ensemble alle sentimentalen Untiefen. Dabei helfen nicht zuletzt pointierte Dialoge, die dem wunderbar unaufgeregten Film gerade dort lakonische Highlights bescheren, wo weniger präzise Beobachter menschlicher Befindlichkeiten auf zynische Kalauer setzen würden. Ungleich düsterere Szenarien zeigt Sayles in Lone Star (1997) und Limbo – Wenn der Nebel sich lichtet (1999), aber auch hier bleibt das Bemühen um gegenseitiges Verstehen bestimmendes Motiv. Die texanische Kleinstadt Frontera wird in Lone Star zum Austragungsort eines wirklich modernen Westerns, der scheinbar mühelos verschiedene Zeit- und Erzählstränge verdichtet. Der überragende Chris Cooper - ebenfalls Hauptdarsteller in Matewan, zuletzt Kanonenfutter in Emmerichs Landsermär Der Patriot - muss als zweifelnder Sheriff sowohl die eigene Geschichte, als auch die seiner von Rassismus geprägten Heimatgemeinde aufrollen, um am Ende vielleicht doch noch die Chance auf ein halbwegs richtiges Leben im Falschen zu bekommen.
Noch drastischer gestaltet Limbo die Erkenntnisprozesse seiner Figuren, deren zart angebahnte Romanze unvermittelt in ein existenzbedrohendes (Natur)-Drama umschlägt. In dem sträflich übersehenen Survival-Kammerspiel überzeugen vor allem Sayles-Favorit David Strathairn und Mary Eliza-beth Mastrantonio. Aber zumeist werden die Filme von John Sayles von jenen übersehen, die ohnehin nie so genau hinschauen wollen. Wer sich nicht dazu zählt, sollte spätestens jetzt einen Blick riskieren.
Matewan: Do, Sa + So; Passion Fish: 12., 14. + 15.10.; Lone Star: 19., 21. + 22.10.; Limbo – Wenn der Nebel sich lichtet: 26., 28. + 29.10.; jeweils 20 Uhr, an Sonnabenden auch 22.45 Uhr, B-Movie
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen