Pin-Codes und Reclam-Heftchen

■ Die Schüler-Kabarett-Gruppe „Anti-Toxin“ stellt die Gretchenfrage nach mehr Demokratie an unseren Schulen und nach „autoritären Säuen“

„Ich bin eine autoritäre Sau“, schreit sich ein Lehrer auf dem Klo seinen (Ehe-)Frust von der Seele. „Und es geht mir gut dabei!“ Lehrer sind halt auch nur Menschen – Menschen mit einer gewissen Macht, zumindest aus der Sicht jener armen Schüler, die sich gleich mit der autoritären Sau herumschlagen dürfen.

Die Szene könnte sich so oder ähnlich an wahrscheinlich jeder Schule abgespielt haben. Hat sie aber nicht, denn wir sind im Schüler-Kabarett 'Anti-Toxin'. Die Gruppe vom SZ Bördestraße trat im Rahmen von 'Demokratisch Handeln' auf, einem Förderprogramm, das die demokratische Haltung in Schule und Alltag stärken will und sich für Jugendliche einsetzt, die in Gruppen demokratische Projekte gestartet haben, zum Beispiel in Form einer aktiven Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit oder durch die selbstständige Ausgestaltung des eigenen Schulhofes. In Bremen diskutieren jetzt an mehreren Tagen verschiedene solcher Initiativen aus ganz Deutschland u.a. in Work-shops und Gesprächen mit Politikern über ihre Möglichkeiten demokratischen Handelns und stellen nebenbei ihre Projekte vor.

Bei 'Anti-Toxin' bekam an einem Abend unsere ganze moderne Gesellschaft ihr Fett weg. Das eher spärlich anwesende Publikum – in die ohnehin schon kleine Aula von St. Johann hatten sich vielleicht dreißig Menschen verirrt – bekommt nach einem kurzen, aber eindrucksvollen Auftritt der Zirkusschule JOaKE auf äußerst bissige und amüsante Weise vorgeführt, was die Deutschen im 21. Jahrhundert so alles bewegt.

Neben der essentiellen Frage, mit welcher Eselsbrücke ich mir welchen Pin-Code wohl am besten merke, werden so von der siebenköpfigen Schülergruppe auch Big Brother, Talkshows und die aktuelle deutsche Popkultur auf die Schippe genommen und kritisch durchleuchtet. Die gefährliche Gratwanderung zwischen gewollten und unfreiwilligen Lachern gelingt dank des beachtlichen komischen und musikalischen Talents der Darsteller auf ganzer Linie. Dass dabei auch die Expo nicht fehlen darf, versteht sich von selbst. Drei Rentnerinnen tattern über die Bühne, tippen müde mit ihren quietschbunten Schirmen auf den Boden und nuscheln „Mnsch, Ntr, Tchnk“, während ein Nachrichtensprecher verkündet, dass 80% aller Weltausstellungen an miserablen Titelsongs scheitern. Kein Wunder.

Anti-Toxin thematisierte vor allem aber die Qualen des Schullebens. Im Literatur-Crashkurs für Reclam-Heftchen-geplagte Schüler lernt man endlich die berühmte Gretchen-Frage kennen: Wer ist Gretchen? Außerdem erfahren wir noch, warum die Korrektur von Klausuren manchmal eine kleine Ewigkeit dauern kann: Fußball ist eben wichtiger.

Mit Demokratie ist es an Schulen offenbar nicht so weit her. Der streberhafte Schülersprecher wurde vom Kollegium gewählt und seine Rede wirkt erschreckend – politikerhaft – schablonenhaft auswendig gelernt.

Bodil Elstner, Schülerin am Kippenberg-Gymnasium