Widersprüche überwiegen im Bunkermordprozess

■ Im Prozess um den Doppelmord am Bunker Valentin gaben Vater und Schwester der ermordeten Kurdin ein widersprüchliches Bild ab / Zwei Angeklagte schweigen weiter

Dilo Dizim, die jüngere Schwester der im vergangenen Jahr am Bunker Valentin brutal ermordeten Ayse Dizim blieb vieldeutig, als der Vorsitzende Richter Kratsch sie im Mordprozess gegen vier kurdische Angeklagte fragte, ob ihre Schwester Ayse und deren ebenfalls getöteter Lebenspartner Serif Alpsozman Angst gehabt hätten. „Jeder hat Angst um sein Leben“, sagte die junge Frau, die vor vier Jahren mit ihrer Familie aus dem türkisch-syrischen Grenzgebiet nach Bremen kam – und gegen deren ältesten Bruder wegen möglicher Verwicklung in den Mord noch ermittelt wird. Nach einigem Stocken fährt sie fort: Ja, kurz nachdem die Schwester gegen den Willen des Vaters mit ihrem Freund Serif zusammengezogen war, habe Ayse Angst gehabt. „Vor der PKK“, erläuterte die 18-Jährige dann. Auch der mit Ayse in der Nacht auf den 24. August zusammen ermordete Serif Alsozman habe ihr gesagt „er müsste mit allem rechnen“.

Die bösen Ahnungen des jungen Paares wurden aufs Schlimmste wahr. Ayse wurde bei lebendigem Leib im Weserschlamm am Bunker Valentin erstickt. Der gehbehinderte Serif Alpsozman, der als PKK-Märtyrer galt, wurde lebendig überfahren. Ein durch und durch geschockter Zeuge, der den Geschundenen am nächsten Morgen fand, will ihn noch zucken gesehen haben. Der als Fahrer des Mordautos von zwei Mitangeklagten belastete Seymus M. schwieg dazu vor Gericht bislang. Er leidet unter anderem an schwerer Diabetes – deren Folgen Gutachter noch werden einschätzen müssen.

In der Aufklärung um die Hintergründe des Doppelmordes, deren Drahtzieher die Anklage bei der verbotenen PKK sucht und im als Anstifter angeklagten Bremer PKK-Funktionär Mehmet E. sieht, gilt die junge Frau als wichtige Zeugin. Sie hatte ein inniges Verhältnis zur ermordeten Schwester. Noch in der Tatnacht hat sie ein Telefonat aus der elterlichen Wohnung heraus geführt.

„In unserer Kultur telefonieren wir, wenn wir wollen. Auch nachts“, erklärte sie vor Gericht. Allerdings habe sie nur den Anrufbeantworter der Freundin erwischt. Auf den Vorhalt des Richters, dass die Angerufene sich aber daran erinnere, dass Dilo nach dem Verbleib ihrer Schwester Ayse fragte, reagiert Dilo kühl: „Wenn sie mit Ayse hätte sprechen wollen, hätte sie dort angerufen.“ Kurz darauf bricht sie unter Tränen zusammen – auf die richterliche Frage, was der Schwangerschaftstest der Ermordeten ergeben habe. „Dazu kam es nicht, sie wurde getötet“, weinte die junge Frau, die auf eigenen Wunsch aussagen wollte – und dann doch viele Antworten schuldig blieb, in denen sie die Familie kompromittiert oder belastet hätte.

„Meine Mandantin hat viel durchgemacht“, erklärte Dilos Anwältin das Ende aller weiteren Aussagen. Aus den Schilderungen der jungen Frau ergab sich zuvor tatsächlich eine beklemmende Situation: Als Vertraute wusste sie von der vor den Eltern verheimlichten Liebesbeziehung der Schwester zum Märtyrer Serif, der nach einhelliger Zeugenaussage „der PKK gehörte und als Märtyrer nicht heiraten durfte“. Aber zugleich erlebte sie zahlreiche Besuche von PKK-Leuten in der elterlichen Wohnung mit – in denen es um Ayse und Serif ging, die gegen die Ehre der Familie und sämtliche PKK-Regeln verstoßen hatten. Sogar der polizeilich gesuchte ehemalige PKK-Gebietsverantwortliche „Servet“ sei dort erschienen, nachdem Ayse „entführt worden war“, wie die männlichen Angeklagten Ayses Bekenntnis zum Freund Serif gerne nennen. Ebenso kam der innerhalb der PKK-Strukturen übergeordnete „Ali“. Aber was hatte die PKK mit einem regelbrecherischen Liebespaar zu tun – oder der eigene, älteste Bruder? „Hatte der den Auftrag, etwas gegen Ayse zu unternehmen“, fragt der Richter eindringlich. Nach langem Schweigen antwortet Dilo: „Das weiß ich nicht.“

Auch, dazu, dass sie den Bruder in der polizeilichen Vernehmung als PKK-Mann bezeichnet hatte, will sie sich vor Gericht nicht äußern. Den als Mord-Auftraggeber für die PKK angeklagten Mehmet E. identifiziert sie als einen der Besucher, die damals zu Gesprächen kamen, an deren Inhalt sie sich jetzt nicht mehr erinnern will. Sicher weiß sie nur, dass die Schwester vorm Vater, bei seiner Aussage später im Gericht in Tränen ausbricht und beteuert, weder er noch der älteste Sohn hätten mit Ayses Ermordung das Geringste zu tun, keine Angst hatte. Auch den ältesten Bruder belastet sie nicht. Erst als der Richter ihr ihre frühere Aussage vorhält: „Ich hatte Ayse und Serif informiert, dass mein Bruder Abdullah in Bremen ist. Bei uns waren zwei PKK-Leute gewesen“, nickt sie. „Das habe ich gesagt.“ Es sei ihr zuviel geworden, „Body-Guard für die Schwester und deren Freund zu spielen“, weswegen sie beiden riet, Bremen zu verlassen. Später berichtet der Vater der ermordeten, er habe gewusst, dass Dilo sein Kontaktverbot zur Schwester umging. Er selbst habe – wegen der Ehre – keinen Kontakt haben dürfen, bestand er darauf, dass er, nachdem Ayse und Serif in der Moschee heimlich geheiratet hatten, gegen die Ehe mit dem Behinderten nichts mehr hatte unternehmen wollen, die er mit Hilfe der PKK -unterbinden lassen wollte. „Er war Märtyrer, er gehörte der Partei. Sie war seine Familie.“

Eine erbarmungslose Familie offenbar. Zwei von den vier angeklagte „Familienmitgliedern“ erzählten vor Gericht scheußliche Geschichten. Es habe keinen Ausweg gegeben. „Der Mordbefehl war schon gesprochen“, erklärte Iskender T. kürzlich vor Gericht. Als gläubiger Sohn eines jesidischen Priesters – der allerdings nicht die simpelsten Gebete sprechen kann – habe er lange geglaubt, den Konflikt um die „Entführung von dem Mädchen“ schlichten zu sollen. So wenig wie Ahmet T. leugnet er, am Tatort gewesen zu sein. So wie Ahmet T. will er aber die Opfer so gut wie nicht angefasst haben. Der andere habe ihn mit vorgehaltener Pistole zum Mitmachen gezwungen, präsentierte sich Ahmet T., einst Mitglied der PKK-Jugendorganisation vor Gericht selbst als abtrünniger PKKler, der in der Mordnacht in Todesangst gelebt habe. Er habe geglaubt, es solle auch gegen ihn vorgegangen werden, erklärte der Jüngste der Angeklagten und berichtete zugleich glaubhaft von schweren Folterungen, die er in der Türkei erlitten hatte. ede