zehn jahre was? von WIGLAF DROSTE
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Nur Unerwachsene, Schwächlinge und Feiglinge sind stolz darauf, einer Nation anzugehören. Wer selber gehen kann, braucht kein Vaterland.

In meiner Brieftasche steckt ein deutscher Ausweis. Ende 1989, nach der tollwütigen, besoffenen Kopulation der Deutschen, habe ich ihn in einem Zeitungsartikel zum Tausch angeboten. Eine Schweizerin mit dem schönen Namen Paula hätte ihn aus beruflichen Gründen gern gehabt. Sie wollte in Großbritannien arbeiten, und ein EG-Dokument hätte ihre Chancen erhöht. So waren wir kurzzeitig verlobt, schrieben uns schnittige Briefe, und ihre Freunde bemerkten, dass Wiglaf wie das schweizerdeutsche Wyglas klinge, was Weinglas bedeutet. Das gefiel mir gut. Pässe und Staatsbürgerschaften tauschen aber geht nicht, denn Staaten, das weiß man spätestens seit B. Travens „Totenschiff“, sind verbohrte Konstrukte, nicht zum Wohl ihrer Angehörigen, sondern allein zu ihrer Unterdrückung erdacht.

Zum Jahrestag ihrer offiziellen Wiedervereinigung sorgten sich die Landsleute wieder einmal ganz schrecklich um sich selbst. Das ist wohl das Ekelhafteste an den Repräsentanten des Landes: dass sie sich ständig nur um sich und ihre Chimäre von „Deutschland“ drehen. Kein Wunder, dass sie dabei allerlei Wahnvorstellungen davontragen. Wenn zum Beispiel Michel Friedman ernsthaft glaubt, er müsse gemeinsam mit dem in jeder Beziehung abstoßenden Franz Beckenbauer gegen Rechtsradikale posieren, dann muss er das wohl tun. Warum sein Verein dann allerdings nicht „Visagen gegen rechts“ heißt, bleibt rätselhaft. Weit mehr Erfolg als sein Gegriene mit Promis verspricht der Vorschlag der Kollegin Tine Wagner: AIDS gegen rechts, unter der Schirmherrschaft Michael Kühnens und der Bundesregierung.

Stattdessen aber erklärt der Grüne Fritz Kuhn: „Wir dürfen die Nation nicht den Rechten überlassen. Das wäre gefährlich.“ Ja, wo käme man hin, wenn man den nationalen Wahn den Rechten überließe? In so erfreuliche Gefilde, dass für einen grünen Karrierebürokraten kein Platz freigehalten würde. Und auch nicht für seinen Kanzler, den petrifizierten Sich-nach-oben-Schläger Gerhard Schröder, der mit Staatsmiene erklärte: „Wegschauen ist nicht mehr erlaubt. Wir brauchen einen Aufstand der Anständigen. Und ich weiß, dass das die übergroße Mehrheit ist.“ Dass der Bild-Kanzler schlicht gestrickt ist, kann jeder wissen, der Ohren hat; vielleicht könnten aber die Jungs, die dem Mann seine Nullsätze basteln, ihm etwas sagen: Nicht das Wegschauen ist das Problem, sondern das Hinglotzen. Das argumentfreie „Wir dürfen nicht wegsehen!“-Gekreische hat schon Christoph Daums Geisteszwilling Rudolf Scharping verbraucht. Und „anständig“ war das Lieblingswort des SS-Führers Heinrich Himmler, der seine SS-Leute dafür lobte, dass sie „immer, auch in schwierigster Lage, anständig geblieben“ seien – Himmler meinte damit, dass die SS-Männer bei der Ermordung der Juden reibungslos funktionierten. Möchte Gerhard Schröder wirklich diese deutsche Anständigkeit mobilisieren?