piwik no script img

In der ersten Liga mitspielen

Nach knapp zwanzig Jahren europäisch-chinesischer Kooperationen in der biotechnologischen Forschung strebt die EU nun auch gemeinsame Projekte mit den chinesischen Humangenetikern an

von UTA WAGENMANN

„Wir müssen globalen Trends folgen und Schlüsselprojekte in Forschung und Entwicklung vorantreiben“, sagte Präsident Jiang Zemin Anfang August vor renommierten Naturwissenschaftlern aus dem Ausland. Das sei von „grundsätzlicher strategischer Bedeutung für unsere ökonomische, wissenschaftliche und technologische Entwicklung, für die nationale Verteidigung und für die chinesische Gesellschaft.“

Das Treffen auf Einladung der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Beidaihe an der Ostküste Chinas ist eine von vielen Veranstaltungen der letzten Jahre, mit denen dem Forschungsstandort China international Geltung verschafft werden soll. Die chinesische Politik ist bemüht um ökonomischen und politischen Anschluss und setzt dabei auf Forschung und Entwicklung. Vorrang hat, was der „globale Trend“ an Prioritäten setzt. Und das sind auch im Entwicklungsland China neben den Informations- und Kommunikations- die Biotechnologien.

Besonders bei der Erforschung und Anwendung von gentechnischen Methoden in der Landwirtschaft gehört China zu den weltweit führenden Staaten. Aber auch die chinesische Humangenetik gewinnt auf internationaler Ebene rasant an Renommee. Noch 1995 sprach das deutsche Forschungsministerium von „hoffnungsvollen Ansätzen auf einigen Gebieten der Humangenforschung“ in China. Es fehlten aber „wichtige strukturelle Voraussetzungen und vor allem ein übergreifendes Forschungskonzept“. Drei Jahre später, mit der Eröffnung der beiden Nationalen Humangenomzentren in Schanghai und Peking, fiel der Startschuss für die Teilnahme Chinas am internationalen Humangenomprojekt. Mittlerweile gehören sie zu den weltweit führenden Sequenzierzentren und die Forschungen im Rahmen des Genomprojektes zu den genetischen Unterschieden verschiedener chinesischer Ethnien finden international Beachtung.

Weit entwickelt ist zudem die chinesische Bioinformatik. Bei der Entwicklung von Systemen für die Speicherung, den Abgleich und den Austausch der ungeheuren Datenmengen, die bei der Genomsequenzierung wie auch bei der Funktionsanalyse anfallen, spielen chinesische Informatiker in der ersten Liga. Bisher international weniger beachtete Bereiche der chinesischen Genforschung wie zum Beispiel Gentherapie oder die Forschung nach genetischen Ursachen von verbreiteten Krankheiten wie Krebs oder Diabetes werden seit Jahren ausgebaut.

Dabei geht man auch im sozialistischen China dazu über, den „globalen Trend“ zur Privatisierung biotechnologischer Forschung zu unterstützen. „Bei der Förderung der Gen- und Biotechnologien streben wir an, Mechanismen der Risikokapitalinvestition zu etablieren“, sagt Liu Qian, Vorsitzender des Nationalen Chinesischen Zentrums für die Entwicklung der Biotechnologie (CNCBD). Diese Bestrebungen fallen auf fruchtbaren Boden. Bereits heute existieren in China 450 Biotechnologie-Unternehmen. Auch die Zahl der Patenterteilungen nimmt drastisch zu. Während 1997 insgesamt 688 Biotechnologie-Patente erteilt wurden, rechnet Liu für das Jahr 2.000 mit einer Gesamtzahl von 3.000. Einen großen Anteil haben dabei pharmazeutische Produkte. Insbesondere die in der traditionellen chinesischen Medizin verwendeten Heilpflanzen und ihre Wirkstoffe sind begehrte Rohstoffe für Medikamente.

Vorangetrieben werden soll die Biotechnologie außerdem durch internationale Zusammenarbeit. „Für künftige Forschungskooperationen bieten sich aus unserer Sicht eine Reihe von Bereichen an“, sagt Liu. Neben der Forschung an Biochips und Computersystemen nennt er Genomforschung, Gentherapie, die Forschung an transgenen Tieren oder auch an der Gewebeherstellung und -transplantation. Der zehnte chinesische Fünfjahresplan (2001–2005) sehe vor, die Kooperation in diesen in China bereits gut etablierten Bereichen verstärkt zu fördern.

Auch die Europäische Union setzt auf Kooperationen mit China in der Humangenforschung. Der Workshop „Human Genomics and Technologies“ Anfang September in Berlin, auf dem Liu sprach, gehört zu den Aktivitäten des „European Biotechnology Node for Interactions with China“ (EBNIC). Das virtuelle Netzwerk wird seit 1998 aus EU-Mitteln unterstützt, um Forschungskooperationen anzukurbeln. Besuche von Europäern bei chinesischen Forschungseinrichtungen werden organisiert und europäisch-chinesische Workshops zu Fachthemen ausgerichtet. Eine umfangreiche Website (www.ebnic.org) ermöglicht es chinesischen und europäischen Wissenschaftlern, mit potenziellen Projektpartnern Kontakt aufzunehmen. Hintergrund des europäischen Engagements ist das Wissenschafts- und Technologieabkommen zwischen der EU und China vom Dezember 1998.

Seit es Ende 1999 in Kraft trat, können chinesische Forscher für Kooperationsprojekte Mittel aus den biomedizinischen Förderprogrammen der EU erhalten. Im Gegenzug ist es europäischen Wissenschaftlern möglich, mit finanzieller Unterstützung aus den entsprechenden chinesischen Programmen gemeinsame Projekte in China zu starten.

Sowohl die Europäische Kommission wie auch das chinesische Ministerium für Wissenschaft und Technologie nutzten den Berliner Workshop denn auch, um den Versammelten – darunter führende chinesische und europäische Humangenetiker und Molekularbiologen – die einzelnen Förderprogramme nahe zu bringen. „Wir sind sehr froh über solche Veranstaltungen und hoffen, sie können europäischen und chinesischen Wissenschaftlern einen Anstoß geben, gemeinsame Projekte zu entwickeln“, sagt der Kommissionsbeamte Jacques Remacle, verantwortlich für die Projektbearbeitung im EU- Förderschwerpunkt „Genomforschung und Krankheiten genetischen Ursprungs“.

Die gesellschaftlichen Bedingungen und das kulturelle Umfeld der Humangenforschung in China spielen bei diesen Kooperationsbemühungen bisher kaum eine Rolle. Nach den ethischen Grundlagen der humangenetischen Forschung und der Anwendung von Gentechnik am Menschen in China wird nicht gefragt. Auf das Thema angesprochen, verweist man in der Kommission unbekümmert darauf, dass aus EU-Mitteln nur Projekte gefördert werden, die den ethischen Anforderungen Europas genügen. Wie Europäer in China forschen, bleibt nach dieser Logik ihnen selbst und den im Land herrschenden Regeln überlassen. „China begegnet den Herausforderungen ethischer und sozialer Fragestellungen im Zusammenhang mit der Humangenomforschung so ernsthaft wie jedes andere Land“, versichert Huanming Yang, Direktor des Humangenomcenters in Peking. Er sprach auf dem Berliner EBNIC-Workshop als einziger Redner über die „ethischen, sozialen und rechtlichen Auswirkungen“ der Genforschung beim Menschen und appellierte an die anwesenden Wissenschaftler, sich an die international üblichen Standards zu halten. Denn unethische Praktiken kämen aus dem Ausland. Er nennt das Beispiel von Genecore, einem Joint-Venture-Unternehmen der US-Firmen Celera und Perkin Elmer, das als eines der ersten ausländischen Unternehmen eine Forschungslizenz erhielt. Die Firma konservierte in ihrem neugegründeten Schanghaier Labor zunächst einige hundert Embryonen zu Forschungszwecken.

Unter chinesischen Humangenetikern löste der Vorfall die Befürchtung aus, ausländische Forschungsunternehmungen könnten das internationale Image ihres Landes beschädigen. „Durch solche Praktiken wird China hier als ,Wilder Osten‘ wahrgenommen“, beklagt auch Ole Döring, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Asienkunde Hamburg und Experte für ethische Fragen der Humangenetik in China. „Dabei ist die chinesische Gesellschaft ethisch nicht unterentwickelt. Sie hat nur andere Werte als wir.“

Über den Einfluss dieser Werte auf den Umgang mit humangenetischem Wissen gibt es nur wenige Untersuchungen. Das renommierte Wissenschaftsmagazin Science zitierte 1998 eine weltweite Erhebung bei genetischen Beratern auf der ganzen Welt. Dort wurde festgestellt, dass die große Mehrheit der genetischen Berater in China der Auffassung ist, ihre Aufgabe sei die Verringerung schlechter Gene in der Bevölkerung. Aus der internationalen Studie „Ethical Views of European and Non-European Geneticists: Results of an International Survey“ von Dorothy C. Wertz geht hervor, dass in China über 90 Prozent der Berater nach vorgeburtlicher Diagnose einer genetisch bedingten Behinderung oder Krankheit eine Abtreibung empfehlen.

Und die Bevölkerung treibt bei einer pränatal festgestellten Behinderung – wie auch in den meisten westlichen Ländern – in der Regel ab. In China belaste die Betreuung behinderter Angehöriger die Familien im Unterschied zum Westen aber ungleich stärker, schreibt Ole Döring in seiner 1997 erschienenen Studie „Humangenetik und Ethik in Taiwan, Hongkong und der Volksrepublik China“. Grund: Das Land ist ein Flächenstaat, in dem die medizinische Betreuung der Bevölkerung nicht überall gewährleistet ist.

Was solche Bedingungen für die klinische Forschung am Menschen bedeuten – etwa bei Gentherapie-Versuchen, bei der Erprobung von Gentests oder der Gewebeherstellung und -transplantation – lässt sich nur erahnen. „Selbstverständlich werden Patienten bei klinischen Studien aufgeklärt“, sagt Döring. Das Individuum und seine Rechte würden aber auch subjektiv nicht so hoch bewertet werden wie im Westen. „China ist ein Entwicklungsland, in dem viele Menschen um das tägliche Überleben kämpfen müssen“, sagt Döring. „Für die Mehrheit der Bevölkerung sind solche Fragen, auf deutsch gesagt, Kinkerlitzchen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen