piwik no script img

Der Dealer als Mensch

Lars Becker und Feridun Zaimoglu stellten auf Kampnagel ihren gemeinsamen Film „Kanak Attack“ vor  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Als Fatih Akin zum Start von Kurz und schmerzlos gefragt wurde, warum eigentlich in seinem Spielfilmdebüt die drei Protagonis-ten und vor allem der mit Drogen dealende Albaner den gängigen Klischees vom „kriminellen Ausländer“ so genau entsprächen, antwortete er mit seiner Erfahrung: Es sei so. Und die Klischees produziere nicht er, sondern der Rassismus der Leute (Spex 10/98). Sehr ähnlich konterten Feridun Zaimoglu und Lars Becker am vergangenen Freitag auf einer Veranstaltung im N + K Club die gleichlautenden Bedenken von Moderator Christof Siemens. Zaimoglu hatte seinen neuen Roman Liebesmale, scharlachrot vorgestellt, Lars Becker aus dem Vorgänger, der Dealer-Story Abschaum vorgelesen und einige Ausschnitte aus Kanak Attack, seiner Verfilmung des Stoffs, gezeigt. Von Authentizität wollten sie beide nicht sprechen, wohl aber sei es ihnen bei der gemeinsamen Arbeit am Drehbuch um Wahrhaftigkeit gegangen, verteidigte sich der Regisseur von Schattenboxer und Bunte Hunde.

Diese Wahrhaftigkeit bezieht die Geschichte zum einen aus der Exis-tenz eines Kieler Drogenabhängigen und Dealers, der vor ein paar Jahren Zaimoglu seinen Werdegang zu Protokoll gegeben hat. Nun bestreitet aber auch gar niemand, dass es mit Drogen handelnde Albaner oder Türken gibt. Das Problem ist das rassistische Gerücht, alle, mindestens aber ein Großteil aller Albaner oder Türken gehe dieser Tätigkeit nach. Zum zweiten also erscheinen den ZuschauerInnen die Protagonisten von Kurz und schmerzlos oder Kanak Attack genau dann plausibel, wenn sie den vorgefassten Vorstellungen entsprechen. Das Gerücht verfestigen Roman oder Film nicht durch das, wassie im Vergleich zur Realität zeigen, sondern durch das, was sie weglassen: die unzähligen anderen Arten und Weisen, mit denen sich in Deutschland lebende und oft mit einem deutschen Pass ausgestattete sogenannte Ausländer ihr Geld verdienen.

Weil aber Romane oder Filme vielschichtiger funktionieren, sind sie selten bloß die Kopie oder die Stereotypie von Klischees. Statt dessen können sie auch die gängigen Bilder von innen boykottieren. Das war es vermutlich, was Lars Becker meinte, als er in der Diskussion von dem Humanen sprach, das ihn an der Textvorlage begeistert habe: Der Film Kanak Attack zeigt nicht den Dealer-Zombie aus Bild und Spiegel. Luc Piyes gibt in der Rolle des Ertan vielmehr einen ausgesprochenen Smartie ab, die Bravo nannte ihn gar „deutschen Brad Pitt“. Unabsichtlich oder nicht – an der vorgesehenen Mackerrolle fördert Piyes vor allem das Aufgesetzte, das Geschauspielerte zu Tage.

Die Mittel, mit denen Becker ihn mit zusätzlichem Glamour ausstattet, überzeugen nicht immer, mit Slow oder Fast Motion und Stop-and-Go rückt die Kamera dem Material oft unmotiviert zu Leibe – Spielereien mit Popfaktor und einigen Anleihen bei Trainspotting, wobei letzterer allerdings unvergleichlich viel humorvoller war.

Die humane Nettigkeit des Film-Ertan gipfelt in einer reichlich kitschig geratenen flammenden Rede, als er seinen für verrückt erklärten Onkel Bülent (tränenreich: Ralf Herforth) in einer geschlossenen Anstalt besucht: Verrückt sei doch nicht er, sondern die Welt da draußen, und er solle mal seinem Leben kein Ende setzten, denn es gebe genug Leute, die ihn verstünden und liebten, so wie er sei.

Aus der episodischen Vorlage hat Becker eine runde Sache gemacht, auch wenn Zwischentitel immer wieder den Beginn einer neuen „Story“ vermelden. Der Film endet – nach vollzogener Rache an dem Mörder von Ertans Freund Kemal (David Scheller), dem Zuhälter Attila (Ercan Durmaz) – mit Ertans Abgang auf regennasser Straße, rechts und links von ihm die Nutten Yonka (Oezlem Cetin) und Sandra (Nadeshda Brennnicke). Aus dem Off ertönen deren Stimmen, wie sie zu Beginn des Films Ertan um „Schutz“ gebeten hatten, bevor Attila sie in sein Bordell zwang.

Wer sehen will, wie sich ganz ohne die Produktion zusätzlicher Klischees aus den Monstren, zu denen die öffentliche Meinung Dealer gemacht hat, Leute machen lassen, die einer bestimmten Art des Gelderwerbs nachgehen, dem sei zum Vergleich Thomas Arslans Film Dealer von 1999 empfohlen.

Kanak Attack startet voraussichtlich am 16.11.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen