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Probesitzen im Knast

■ Politiker und Bürger lassen sich übers Wochenende im neuen Oldenburger Knast einschließen, um sich vom nicht vorhandenen Komfort zu überzeugen

Oldenburg – Mit einem Probesitzen von Politikern und Bürgern ist erstmals in Deutschland ein Gefängnis eröffnet worden. Am späten Freitagabend fielen hinter 180 unbescholtenen, aber neugierigen Frauen und Männern die schweren Zellentüren der neuen Oldenburger Justizvollzugsanstalt ins Schloss. Unter den „Gastknackis“ waren Landtagsabgeordnete von SPD, CDU und Grünen sowie hohe Vertreter von Polizei und Justiz. Eingebettet in Vorträge, Führungen und Diskussionen versuchten sie sich ein Bild von einer der modernsten deutschen Strafanstalten zu machen.

Dem einen war zwar die Matratze zu hart, dem anderen der Betonbau zu hellhörig. Grundsätzliche Kritik gab es nach dem kargen Frühstück aus Tee, Brot, zwei Scheiben Wurst, Margarine und einem Klacks Marmelade am Samstagmorgen aber nicht. Einige sahen sich in der Zelle mit Holzbett, Tisch und Stuhl samt „Nassraum“ mit Waschbecken und Toilette sogar auf höherem Niveau untergebracht als in den Jugendherbergen ihrer Kinderzeit. Die nach Expertenauskunft „undurchsägbaren“ Fenstergitter, der Blick auf Stacheldrahtrollen und die schwer armierten Zellentüren ließen allerdings nicht den Hauch von Hotelatmosphäre aufkommen.

Die Unterbringung der künftig rund 300 Untersuchungs- und Strafgefangenen sei „menschenwürdig“, befand ein Strafverteidiger nach der Inspektion des neuen Knasts. In geradezu „klinischer Perfektion“ beherrsche aber der Sicherheitsaspekt das innere Gesicht der Anstalt. Von einem Ausbruch lasse sich unter High-Tech-Verhältnissen nur noch träumen. Um ihre Rolle seien die Vollzugsbediensteten daher nicht zu beneiden, meinte ein Polizeibeamter. Sie müssten schließlich mit den Aggressionen umgehen, die ein Sicherheitsknast bei einigen Gefangenen erfahrungsgemäß auslöse.

Dabei beschränkt sich das Sicherheitssystem des 100-Millionen-Mark-Komplexes nicht auf Augenfälliges wie Gitter, Schlösser, Mauern und Stacheldraht. Ein ausgeklügeltes System von Automatikschleusen unterteilt Flure und Etagen in Sicherheitsabschnitte wie Schotten einen Schiffsrumpf. 150 Kameras ergänzen die Augen von jeweils nur 14 Beamten.

Ausgeklügelt und das Ergebnis von hunderten Jahren Gefängniserfahrung sind auch die Details: Schrauben an Armaturen lassen sich nicht herausdrehen, der Wasserablauf der Waschbecken wird als mögliches Drogenversteck vom Zellenflur aus kontrolliert. Zündeln in der Zelle scheitert an nicht brennbaren Matratzen und Gardinen. Selbstmordsichere Kleiderhaken und sturzsichere Treppenschächte ergänzen das Konzept. Eine eigene Krankenstation mit Zahnarztstuhl erspart risikoreiche und personalintensive Transporte von echten Kranken und an Flucht denkenden Simulanten.

Neben der Sicherheit gehört für Anstaltsleiter Gerd Koop Eigenverantwortung und Disziplin der Gefangenen zum Vollzugskonzept, das er als „konsequent und liberal“ bezeichnet. Wer das strenge Reglement mit Sauberkeitspflichten und dem Verbot von Drogen und Gewalt beachtet, genießt Erleichterungen. Wer die Regeln verletzt, wird vom so genannten Servicesystem mit offenen Zellentüren, Fernsehen, Sportveranstaltungen, individuellem Wäschewaschen und privatem Einkauf ausgeschlossen. „Den Freiheitsgrad in der JVA bestimmen die Gefangenen selbst“, bringt Koop das Konzept auf den Punkt. Manfred Protze, dpa

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