: „Schreien hilft nicht“
Ein Gespräch mit dem indischstämmigen Bürgermeister von Altlandsberg, Ravindra Gujjula, über den interkulturellen Sinn von Elefantenrennen, die Bedeutung der Einwohnerzahl und sein Konzept, Tatsachen zu schaffen, statt bloß zu lamentierenInterview MARIE-LUISE GRIES
taz: Sie sind seit 1993 der erste dunkelhäutige Bürgermeister Deutschlands, und das schon in der zweiten Amtsperiode. War es schwer, das Vertrauen der Altlandsberger zu gewinnen?
Ravindra Gujjula: Es war nicht schwer. Ich muss sein, wie ich bin, mein Engagement zeigen, ohne Erwartungen, dann gewinne ich Vertrauen. Und daraus folgt alles andere.
Es ist nicht gerade leicht, bei Ihnen einen Interviewtermin zu bekommen. Liegt das an der Arbeit in der Arztpraxis, oder haben Sie so viele Pressetermine?
Es ist beides. Am Tag habe ich mindestens 40 bis 50 Patienten. Presseanfragen habe ich eigentlich ständig, fast jede Woche. Zwischendurch werde ich zu Tagungen gerufen, ab und an kommt eine ausländische Delegation.
1999 haben Sie im kleinen Altlandsberg das bisher größte Hackertreffen der Welt organisiert. Das passt zu dem neuesten Inder-Klischee. Wie sind Sie darauf gekommen?
Oh, das habe ich gerne gemacht! Aber die Idee ist nicht ausschließlich auf meinem Mist gewachsen. Wir hatten vorher in Altlandsberg zum dritten Mal unsere eigene Mini-Love-Parade gefeiert, 24 Stunden lang Tanz mit drei- bis viertausend jungen Leuten. Dadurch sind auch Leute von einem Hackerclub auf den Ort aufmerksam geworden, und so nah an Berlin sind die Bedingungen für dergleichen sehr gut. Ist doch mal was anderes.
Im Sommer 2000 haben Sie Berlin das erste Elefantenrennen Deutschlands verschafft, gegen den Widerstand von Tierschützern. Ging es Ihnen um den Showeffekt?
Wenn ich auf eine Einladung schreibe: „Sechs Stunden indische Kultur“, was glauben Sie, wie viele Leute ich damit erreiche? Es war mein Ziel, indische Kultur so gut wie möglich zu promoten. Wenn das Haus der Kulturen der Welt in Berlin seine anspruchsvollen Kulturabende anbietet, manchmal zu mehreren Ländern gleichzeitig, kommen vielleicht 2.000 Gäste. Zu uns kamen 45.000, darunter allein 528 akkreditierte Journalisten, und in der ganzen Welt wurde darüber berichtet. Das Elefantenrennen war der Aufhänger; wir haben aber umfassend über Indien informiert, Filme auf Großleinwänden gezeigt – Indien bedeutet viel mehr als Heilige Kühe und Witwenverbrennungen. Wir wollten mit der Veranstaltung auch ein Zeichen setzen gegen Ausländerfeindlichkeit. Danach bekam ich sogar aus China einen Brief, das ist doch eine tolle Sache! Den Einspruch der Tierschützer konnten wir übrigens widerlegen. Die Elefanten stammten aus deutschen Zirkussen, sie rannten auf Zuruf und hatten ihren Spaß.
Wenn Medien im Ausland über einen solchen Erfolg berichten, wirkt das dann nicht, als seien die Probleme von Migranten schon gelöst?
Es gibt natürlich Probleme! Aber wollen wir nur über Probleme reden? Viele Menschen haben viele Stunden ehrenamtlich am Gelingen dieser Veranstaltung mitgearbeitet. Wir haben nichts daran verdient, sondern eine Menge privates Geld hineingesteckt. Hier ging es um Kultur und um Verständigung.
Natürlich, eine Menge bleibt zu tun, vor allem gegen den Mangel an Lehrstellen für die Jugend und gegen Arbeitslosigkeit. Wenn ein Jugendlicher zu mir kommt, dann gehe ich mit ihm von Betrieb zu Betrieb. Ich weiß nicht für alles eine Lösung, versuche aber, Akzente zu setzen.
Sie haben einmal, begleitet von einem Fernsehteam, selbst erfahren müssen, dass Sie wegen Ihrer dunklen Hautfarbe von Taxifahrern nicht befördert wurden. In dem Film wirkten Sie erstaunlich ruhig. Wo bleibt denn Ihre Wut?
Ja, wütend wird man auch. Aber Schreien hilft nicht. Man muss Tatsachen zeigen, Leute zum Nachdenken anregen. Dieser Film wurde für den Adolf-Grimme-Preis vorgeschlagen. Das hat mich sehr gefreut, denn so haben wir auf das Thema stärker aufmerksam machen können.
Was sagen denn die Altlandsberger zu den spektakulären Aktivitäten ihres Bürgermeisters?
Bis jetzt stehen sie hinter mir. Es ist aber nicht wichtig, 100 Prozent Unterstützung anzustreben. Ich muss daran glauben, dass etwas richtig und wichtig ist, und dann handle ich danach. Das ist mein Lebensstil, so war es schon früher.
Die Diskussion um die Green Card bewegte sich zwischen „Kinder statt Inder“ und „Willkommen, Experten“. Wie denken Sie darüber?
„Kinder statt Inder“, das ist einer der hirnverbranntesten, dümmsten Slogans, die ich je gehört habe. Wie kann man Kinder mit einer Nation vergleichen? Die Bevölkerung hat das, Gott sei Dank, begriffen. Außerdem: Hier geht es doch nicht um Inder, sondern um Software-Experten. Wenn man die nicht haben will, kommen sie eben nicht. Traurig, wenn Politiker glauben, mit solchen populistischen Sprüchen auf Wählerfang gehen zu müssen
Viele Migranten aus Indien leben schon seit langem in Deutschland. Über Integrationsprobleme ist, zumindest in der öffentlichen Diskussion, wenig zu hören. Ist deren Integrationsprozess schon abgeschlossen?
Seit ich Bürgermeister bin, habe ich wieder stärkere Kontakte zu Initiativen, treffe Delegationen, werde zu Veranstaltungen eingeladen. Ich freue mich darüber, ich bin ja gebürtiger Inder. Bei meinen Landsleuten sehe ich ähnliche Probleme, wie bei anderen Migrantengruppen auch: vor allem bei der zweiten und dritten Generation im Bereich Ausbildung, Arbeitslosigkeit. Und für die Jüngeren, die hier Geborenen sollte ganz hohe Priorität auf erleichterte Einbürgerung gesetzt werden! Integration ist eine schwierige Angelegenheit, wir werden uns noch mehrere Jahre damit beschäftigen müssen. Und das nicht nur in Deutschland, wir müssen es als europäische Aufgabe anpacken. Negativbeispiele wie in Italien oder Österreich kennen wir genug. Mit einem Parteiverbot erreicht man nichts.
Was ist Ihnen heute als Bürgermeister besonders wichtig?
Nach wie vor die Verdoppelung der Einwohnerzahl. 1993 waren wir 2.681, zur Zeit sind wir 4.850. Durch den Zuwachs konnte sich Altlandsberg eine Menge Dinge leisten, zum Beispiel wurde das Schulzentrum renoviert, wir haben 10 neue Klassenräume, für sechs Millionen Mark hat Altlandberg endlich eine Mehrzweckhalle bekommen. Die magische Zahl von 5.000 Einwohnern ist jetzt nicht mehr fern. Und wenn wir 6.000 erreichen, dann feiern wir eine Riesenfete!
Und Ihr persönlicher Wunsch für die Zukunft?
Ich freue mich, dass die Leute hier mich so akzeptiert haben. Das reicht aber nicht: Ich wünsche mir Zivilcourage von der Bevölkerung und von allen Politikern mehr basisnahe Aufklärungsarbeit.
Vor allem brauchen wir mehr Unterstützung von der politischen Spitze. Ich hoffe, dass mit dem Thema Fremdenfeindlichkeit nicht bloß das Sommerloch gefüllt wurde. Auf die Politik der nächsten Monate bin ich sehr gespannt.
Vielen Dank!
Zitate:„Kinder statt Inder ist einer der dümmsten Sprüche, die ich je gehört habe.“„Natürlich gibt es Probleme. Aber wollen wir nur über Probleme reden?“
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