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Schmeckt nach Zwieback

Ein bisschen Seminar, ein bisschen Achtzigerjahre-Vokabular: In Berlin trafen sich beim „Tunnel über der Spree“ 36 Schriftsteller, um über die Beziehung zwischen Literatur und Realität zu diskutieren

von DETLEF KUHLBRODT

Schriftstellertreffen sind schön, allerdings schwierig zusammenzufassen; umso schwieriger, je mehr Dichter zusammenkommen. Beim elften „Tunnel über der Spree“, der Versammlung im Literarischen Colloquium am Wannsee, die sich auf den gleichnamigen, 1837 gegründeten „literarischen Sonntagsverein“ beruft, dem u. a. Theodor Fontane angehörte, waren es also 36 AutorInnen, die sich mit der „Beziehung zwischen Literatur und Realität“ auseinander setzten.

Prima Thema; Realität und echte Wirklichkeit sind so aktuell wie schon lang nicht mehr. Geradlinig und ohne das ganze artistisch-grüblerische Wesen, das, wie man hört, so lange unsere eher west- als ostdeutsche Literatur daran gehindert hat, unterhaltsame Gegenwartsgeschichten zu machen, sei die neue deutsche Literatur, wie man sagt, und erfolgreich realistisch.

Im Internet bringen die Arbeiter des Wortes ihre Sachen schneller, direkter und auch risikoreicher (kein Lektor) zum Leser: von Rainald Goetz, der mittlerweile und irrsinnigermaßen zum Konsensautor geworden ist, über die Dichter-Webseiten www.ampool.de und www.unternull.de bis zu der Tagebuch-&-Literatur-Seite, die der Internet-Romanpionier Norman Ohler (www.sayheykey.de) grad ins Netz stellte. Überall das Ringen um Wirklichkeit. Ein schönes Thema, wie gesagt; andererseits gibt es wohl kaum eines, das allgemeiner und unspezifischer sein könnte, denn vom früheren Kampfbegriff „Realismus“ mitsamt seinen bis ins Lächerliche gehenden sozialistischen Auswüchsen – den Hunden etwa, denen es eine Zeit lang verboten war, zu fliegen, weil das doch nicht geht – hat man sich ja schon recht lange verabschiedet.

Um das alles ein bisschen zu ordnen, teilten sich die Autoren in vier Gruppen: „Realität der Medien“ (u. a. Norbert Niemann, Andreas Neumeister, Sibylle Lewitscharoff), „Realismus als Verfahren“ (Burckhard Spinnen, Jens Sparschuh u. a.), „Fingierter Realismus“ (Elke Schmitter, Sabine Peters, Daniel Kehlmann) und „Sprachwirklichkeiten“ (Bert Papenfuss, Jan Peter Bremer, Reinhard Jirgl). War nur leider nicht so, dass die Dichter tatsächlich in Gruppen gearbeitet hätten; sie blieben allein, und jeder Einzelne lieferte singlelange, mal mehr theoretische, mal mehr literarische Statements. Dann klopfte man auf den schönen Holztisch; dann wurde das diskutiert.

In den Pausen oder beim leckeren Mittagessen schaute man in die Bücher der Autoren, die in einer „Präsenzbibliothek“ herumstanden, und unterhielt sich darüber, dass das doch alles sehr an ein – so angenehmes wie überraschungsarmes – literaturwissenschaftliches Seminar erinnerte, verglich die diesjährige Tunneltagung mit vorangegangenen, dachte an die Dichterin Brigitte Oleschinski, die 97, als es um „Überdruss und Überfluss“ gegangen war, versucht hatte, „das Staubkorn zu reiten“, und stellte fest, dass sich doch vieles geändert hat inzwischen: Die Generation von H. C. Buch und FC Delius, mit der der Tunnel begann, war jedenfalls nicht mehr vertreten; Dichter, die über fünfzig waren, suchte man vergebens. Und die herrschende Rhetorik stammte aus den Seminarräumen der frühen 80er-Jahre. Von „referentiellen Kohärenzsystemen“ sprach Katharina Hacker. Der Schreckensbegriff „Metaphorizität“ kam auch des Wegs.

Und die Fragen brachten ihre Antworten dann meist gleich mit: Ist realistisches Schreiben nun eine bloße Verdoppelung der Verhältnisse? – Nein! Oder ist einfach Schreiben subversiv? – Nicht unbedingt. Ist das zersplitterte Ich eine Voraussetzung für mehr Konsum und hat so nun plötzlich ein traditionell lineares Erzählen etwas Subversives, wie Burckhard Spinnen meinte? – Wie man’s nimmt. Dass man sich stillschweigend darauf geeinigt hatte, die literarischen Texte der jeweils anderen nicht zu kritisieren, kam zwar der Stimmung zugute, führte aber auch zu einer allgemeinen Oberflächlichkeit und Beliebigkeit auf hohem Niveau.

Nachdem der Tagungsraum sich in der Pause etwas abgekühlt hatte, fragte Katja Lange-Müller, die realistisch berlinernde Moderatorin, gleich dreimal, ob jemand was von ihrem Absolut-Vodka haben wollte: „Betrachtet mich als euren Bernhardiner.“

Irgendwann begann der Dichter („Bewegliche Feiertage“) Burckhard Spinnen immer mehr und immer druckreifer zu reden und saß am zweiten Tag dann schon neben den Moderatoren, während Georg M. Oswald vor dem „Scherbenhaufen der Poetologie“ herumlungerte und richtig erkannte, dass es meist blöde klingt, wenn man die eigenen Schreibregeln formulieren soll. Thomas Bernhard als Realist fand des Öfteren Erwähnung. Dies sei doch noch vorkantianisch gedacht, sagte jemand. Zola wurde immer wieder von Elke Schmitter ins Feld geführt wie auch Fontane – allerdings eher en passant. Jens Sparschuh fand pfeiferauchend, dass Realismus ein bisschen „nach Zwieback“ schmecke, und berief sich irgendwann auch auf seinen „verehrten Kollegen“ Max Goldt.

Wirkliche Gespräche, um mal emphatisch zu werden, fanden dann eher am Abend im kleineren Kreis statt und hatten natürlich die Mühen des Tages zur Voraussetzung. Melinda Nadj Abonj, die gerade ein Stipendium am LCB hat, erzählte, dass kürzlich Pro 7 im Haus gedreht hätte und diese Leute furchtbar gewesen seien.

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