Undramatisch höfliche Sachlichkeit

Nachdem Al Gore bei der ersten Debatte der US-Präsidentschaftskandidaten aggressiv aufgetreten war, fasste er George W. Bush beim zweiten TV-Termin mit Samthandschuhen an. Arroganz schadet: In den Umfragen liegt inzwischen Bush wieder vorn

aus Washington PETER TAUTFEST

Anderthalb Stunden lang saßen sich die US-Präsidentschaftskandidaten George W. Bush und Al Gore am Mittwochabend gegenüber und debattierten vor rund 40 Millionen Fernsehzuschauern über Außenpolitik und Bürgerrechte, Krankenkassen- und Rentenreform, Bildungs- und Steuerpolitik. Es fehlte fast völlig an scharfen Tönen und Polemik, es gab keine persönlichen Angriffe und demagogischen Duelle um politisch unwichtige Dinge – entsprechend undramatisch verlief der Schaukampf.

Die Debatte fand gleichwohl in spannungsgeladener Atmosphäre statt, hatten doch gerade Washington Post und CNN nach einer gemeinsam durchgeführten Umfrage mit der Nachricht aufgewartet, Bush habe in den Umfragen zugelegt und Gore in der Wählergunst gar überholt. Das wäre ein Novum, denn eine alte Faustregel besagt, wer Anfang September in Führung liegt, der gewinnt auch.

Gore habe, so die in den Medien der letzten Woche verbreitete Meinung, bei der ersten Debatte eine Pyrrhussieg errungen. Zu arrogant sei sein Auftreten gewesen, wie ein Klassenprimus habe er gewirkt, und am Ende seien einige seiner Fakten und Anekdoten nicht frei von Übertreibungen und Unwahrheiten gewesen – das von ihm zitierte Mädchen zum Beispiel, das in einer Schule in Florida angeblich keinen eigenen Sitzplatz hat, habe nur einen Tag lang stehen müssen, während neues Mobiliar angeliefert wurde.

Derart nachdrücklich müssen Gores Berater ihren Mann vor seiner eigenen Angriffslust gewarnt haben, dass die Kandidaten sich in den ersten 40 Minuten gegenseitig so oft Recht gaben, dass kaum noch Unterschiede zu erkennen waren.

Die erste Dreiviertelstunde der Debatte war der Außenpolitik gewidmet – ungewöhnlich für US-Wahlkämpfe. Es ging um den Nahen Osten und Bosnien, wo es keine Meinungsverschiedenheiten zu geben schien. Bemerkenswert immerhin, dass Bush das Engagement der USA auf dem Balkan unterstützt. Er leistete sich keine seiner schon berühmt-peinlichen Versprecher und sprach sogar den Namen Tschernomyrdin fehlerfrei aus, wenn er ihm auch fälschlicherweise anlastete, IWF-Gelder auf sein Konto geleitet zu haben.

Der Moderator Jim Lehrer fragte nach den acht US-Militäreinsätzen der letzten 20 Jahre (Libanon, Grenada, Panama, Golf, Bosnien, Haiti, Kosovo) und wollte wissen, welche davon möglicherweise falsch gewesen wären. Trotz seiner ständig wiederholten Versicherung, US-Truppen seien an zu vielen Orten der Welt stationiert, wusste Bush letztlich nicht anzugeben, wo sie überflüssig seien. Auf dem Balkan allerdings sollten Europäer den Großteil der Truppen stellen, verlangte er. Gore stimmte artig zu und vergaß dabei ganz, darauf hinzuweisen, dass heute schon mehr europäische als US-amerikanische Truppen auf dem Balkan eingesetzt sind.

Richtig kontrovers wurde die Debatte erst, als es um innenpolitische Fragen ging und Gore – sich fast entschuldigend – Bushs Umwelt- und Gesundheitspolitik in Texas angriff. Texas stehe an 49. Stelle bei der Krankenversicherung von Frauen und Kindern und Bush habe Steuersenkungen den Vorzug vor der Versicherung von Kindern gegeben. Bush konterte, in Texas sei die Zahl Unversicherter gesunken, während sie landesweit gestiegen sei, was nicht ganz stimmt. Angaben des Statistik-Bundesamts weisen einen leichten Rückgang von Unversicherten im ganzen Land nach.

Während ein gehemmter Gore fast linkisch wirkte, lehnte sich Bush in seinen Sessel zurück und wirkte entspannt und souverän. In ersten Berichten und Kommentaren wird er als Sieger der Debatte gefeiert. Doch Siege können – wie Gores Debattensieg von letzter Woche zeigt – zu Asche werden. Noch steht den US-amerikanischen Wählern am kommenden Dienstag eine dritte und letzte Debatte bevor.