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Arafat hat nicht mehr die Macht in Palästina

Der PLO-Chef kann die Gewalt nicht unter Kontrolle bringen. Die meisten Palästinenser haben sich längst radikaleren Führern zugewandt

BERLIN taz ■ Die Welt schaut auf diesen Mann: Warum kommt Jassir Arafat, Vorsitzender der Palästinenserbehörde und Führer der PLO, „Held des Befreiungskampfes“ und charismatische Vaterfigur von vier Millionen Palästinensern, der israelischen Regierung nicht entgegen und unterbindet die Gewalt seiner Landsleute – wenigstens für einige Stunden? Ehud Barak schien doch mit der Stundung des Ultimatums an den Palästinenserführer, Ruhe in den Autonomiegebieten herzustellen, einen ersten Schritt zur Entschärfung des Konfliktes getan zu haben. Warum also reagiert Arafat nicht, indem er die Gewalt der palästinensischen Jugendlichen unterbindet? Die Antwort ist so eindeutig wie schockierend: Er kann nicht.

Der 71-jährige Arafat, der sich so gerne mit den Staatschefs aus aller Welt auf eine Ebene stellt und mehr Flugkilometer zurücklegt als Bill Clinton und Igor Iwanow zusammen, ist nicht mehr Herr im eigenen Haus. Schon seit Monaten mehren sich die Stimmen, die Arafats Autorität in seinem Volk anzweifeln. Diese Vermutungen erfahren jetzt ihre blutige Bestätigung. Arafat darf sich zwar Präsident aller Palästinenser nennen, aber uneingeschränkte Macht hat er allenfalls noch über seinen Beraterstab, seine Leibgarde und die Spitzen der Autonomiebehörde. Die Mehrheit des palästinensischen Volkes hat sich von seiner Politik ab- und radikalen Positionen zugewandt. Jetzt rächt sich, dass sowohl die israelische Regierung als auch die Vermittler aus Washington, Moskau und Brüssel stets nur auf Arafat setzten und dabei die Verschiebung der tatsächlichen Machtverhältnisse in der Führung des palästinensischen Volkes missachteten. Wer hat tatsächlich Macht über die revoltierende palästinensische Jugend?

Da ist zum einen Scheich Ahmad Jassin, Führer der radikal-islamischen Hamas. Ein Wort des blinden Scheichs genügt, und morgen explodiert die Bombe eines Selbstmordattentäters in Tel Aviv. „Die nahe Zukunft wird sehr, sehr hart sein“, kündigte der 64-jährige Hamas-Gründer vor vier Tagen in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung an und machte unmissverständlich deutlich, dass er die Gewalt fortsetzen will: „Wir sind bereit zum Widerstand, und von dieser Position werden wir nicht abweichen.“ Dass Jassir Arafats Behörden sich inzwischen mit den Hamas-Führern absprechen, statt ihre Aktivisten wie noch vor zwei Jahren massenhaft zu verhaften, verdeutlicht den zunehmenden Einfluss, den die Hamas in Palästina gewinnt.

Schlagzeilen macht dieser Tage aber vor allem die Fatah-Bewegung. Maßgeblich ist sie es, die Palästinas Jugend aufstachelt, Steine zu werfen und ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Jahrzehntelang ist die 1959 von palästinensischen Flüchtlingen im kuwaitischen Exil gegründete Fatah („Eroberung“) Rückhalt und Instrument Arafats innnerhalb der PLO gewesen. Jetzt machen sich Teile ihrer Anhänger selbständig: Marwan Barguti ist Chef der Fatah im Westjordanland, und er propagiert gewaltsame Methoden, die Arafats Gefolgsleute nicht mehr beeinflussen können. Offen prahlt Barguti in Interviews, dass Arafat und sein Kabinett ihm keine Instruktionen geben können. Die Israelis seien naiv, wenn sie glaubten, Arafat könne frei entscheiden, wie er mit Barak, Clinton und Co. verhandeln wolle. Barguti setzt auf Gewalt, das eint ihn und Hamas-Führer Jassin. Diese Verbindung ist im wahrsten Sinne hochexplosiv.

FLORIAN HARMS

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