„Auskömmliche Armut“

Die Berliner Hochschulen werden durch die Sparzwänge des Senats gebeutelt. Sie haben aus der Not eine Tugend gemacht und setzen zu umfassenden Reformen an

Ob der Berliner Senator für Wissenschaft, Christoph Stölzl (parteilos), mit seiner These von den positiven Folgen der „auskömmlichen Armut“ in Wissenschaft und Kultur Recht hat, muss sich erst noch erweisen. Der Wissenschaftsrat, der vor ein paar Monaten ein Gutachten über die Berliner Hochschullandschaft erstellt hat, kommt jedenfalls nicht zu diesem Urteil (siehe auch Seite 12). Er attestiert eine „nirgendwo in Deutschland vergleichbar rasante Talfahrt“.

Die Senkung der Zahl der ausfinanzierten Studienplätze von 115.000 im Jahr 1993 auf jetzt 85.000 bei rund 130.000 eingeschriebenen Studenten sowie die Halbierung der Professorenschaft binnen weniger Jahre an der Technischen (TU) und der Freien Universität (FU) sind in der Tat kein Ausweis erfolgreicher Wissenschaftspolitik. Andererseits räumen auch Leidtragende wie TU-Präsident Hans-Jürgen Ewers offen ein, dass die Berliner Hochschullandschaft ohne die finanziellen Probleme kaum in Bewegung gekommen wäre.

„Die Zeit ist reif für große Ideen“, postuliert die CDU-Wissenschaftsexpertin Monika Grütters. Sie möchte die FU privatisieren und in eine Stiftung überführen. Studiengebühren ließen sich dann ebenso problemlos durchsetzen wie leistungsbezogene Gehälter, die nicht mehr dem starren Tarifrecht des öffentlichen Dienstes unterliegen. Die FU könnte die leistungsstärksten Professoren und Studenten rekrutieren. Langsam würde sich eine gute Reputation in Wissenschaft und Lehre bilden, und Sponsoren würden dann bald im Boot sitzen.

Ein amerikanischer Traum – von dem die SPD wenig hält. Sie tendiert dazu, die staatlichen Kontroll- und Eingriffsmechanismen in die Universitäten aufrechtzuerhalten oder sogar auszubauen. Neu sind diese Ideen nicht. Sie beherrschten den bildungspolitischen Diskurs bis in die 90er-Jahre.

Unter der Oberfläche dieser bildungspolitischen Positionen, die wegen ihrer Grundsätzlichkeit und fehlendem Pragmatismus den Veränderungsprozess eher behindern als stärken, vollziehen sich jedoch Veränderungen, die die politischen Großdebatten als rückständig und überflüssig erscheinen lassen

Die Universitäten streben Reformen gleichzeitig auf mehreren Ebenen an. In der Verwaltung setzen sie auf operationalisierte Ziele und die so genannte Budgetierung. Die TU wird sie schon zu Beginn des nächsten Jahres als erste Berliner Uni teilweise umsetzen. Im Jahr 2002 greifen die neuen Grundsätze der Budgetierung vollständig. Dann sollen die Fakultäten im Rahmen eines eigenen Haushaltes über Personal, Geräte, Investitionen und Verbrauchsmittel verfügen. Bisher war dies Aufgabe der nach althergebrachten kameralistischen Grundsätzen arbeitenden Zentralen Universitätsverwaltung (ZUV). Künftig tragen die Fakultäten die inhaltliche und finanzielle Verantwortung für den Haushalt. Sie dürfen Mehr- oder Mindereinnahmen zwischen den Titeln ausgleichen, Rücklagen bilden, oder auch mit dem Raummanagement Einnahmen erzielen.

Die Fakultäten können weitere Gelder bekommen, wenn sie sich verpflichten, bestimmte Leistungen zu erbringen. Beispielsweise ein erweitertes Lehrangebot, eine bestimmte Anzahl von Studienplätzen oder auch verlängerte Öffnungszeiten bei den Bibliotheken. Zehn Prozent der flexiblen Mittel sollen auf der Basis von solchen Zielvereinbarungen vergeben werden. Umstritten ist diese Reform vor allem, weil Sach- und Personalmittel untereinander deckungsfähig sind: Wenn eine Professur oder ein Mitarbeiterstelle vakant ist, kann die Fakultät die Stelle neu ausschreiben oder das Geld in den Sachmittel- oder Investitionsbereich umleiten. Andererseits dürfen Investitionsmittel nicht umgewidmet werden. Diese Maßgaben könnten einem weiteren Personalabbau Vorschub leisten und werden deshalb in gewerkschaftsnahen Kreisen kritisch bewertet.

Die Universitäten werden sich allerdings weniger auf dem Gebiet der Verwaltungsreform als bei der Debatte um Studieninhalte und -abschlüsse als zukunftsfähig erweisen müssen. In Deutschland gilt ist es als normal, mit 30 Jahren und frischem Examen auf den Arbeitsmarkt zu treten. Insbesondere die Wirtschaft hält solche Absolventen aber nicht für international konkurrenzfähig. Sie verlangt, wie es in anderen Ländern üblich ist, nach Absolventen, die nicht älter als 25 Jahre sind. Außerdem würden die deutschen Abschlüsse auf internationaler Ebene befremdlich wirken: Jeder kenne die international anerkannten Titel Bachelor (BA) und Master (MA), aber was ist ein Diplom?

Auch von politischer Seite kommt Druck auf die Universitäten zu. Denn mit einer verkürzten Studiendauer sinken auch die Kosten, womit wir beim eigentlichen Problem wären: Die angloamerikanischen Abschlüsse stehen im Verdacht einer Billigausbildung. Die Arbeitgeberverbände haben, noch bevor sich BA und MA flächendeckend durchgesetzt haben, schon einmal klargestellt, dass sie jüngere Absolventen und kürzere Studienzeiten, aber keine Schmalspur-Abschlüsse anstreben.

Die Welle der Abschlüsse nach US-Muster rollt gerade erst an, nachdem sich letztes Jahr ein 14-köpfiger Akkreditierungsrat gebildet hat, der zusammen mit Agenturen die neuen Studiengänge zertifiziert. „Zum ersten Mal werden Studiengänge nicht nur nach formaljuristischer Prüfung, sondern nach inhaltlichen Kriterien zugelassen“, sagt der Vorsitzende des Akkreditierungsrates, Karl-Heinz Hoffmann. TILMANN VON ROHDEN