Meta-Diva in guten Händen

■ Robert Carsens Inszenierung von Puccinis „Tosca“ an der Staatsoper

Sängerinsein ist ein Bewusstseinszustand. Rund um die Uhr lebt eine Primadonna für ihre Kunst und denkt auch im wirklichen Leben nur noch in den Kategorien des Theaters: Auftritt, Pose, Effekt. So jedenfalls hat es Giacomo Puccini für die Titelheldin seiner Oper Tosca gewollt. Regisseur Robert Carsen und sein Team haben diese Essenz aus dem Werk des Italieners herausdestilliert, indem sie Tosca als Theater auf dem Theater zeigen. Dass die Neuproduktion der Staatsoper nicht nur den ungelenken Charme einer Kopfgeburt versprüht, sondern dem Publikum auch einen aufregenden Opernabend beschert, ist den hervorragenden Sängerdarstellern und dem fesselnden Dirigat von Ingo Metzmacher zu verdanken.

Carsens szenischer Diskurs über die Diva an sich nutzt konsequent jede Gelegenheit, um das Theatralische von Toscas Handlungen zu betonen. So betritt die Sängerin nicht einfach die Bühne, sondern schreitet bedeutsam in das Geschehen hinein. Keine Bewegung, keine Geste, kein Blick, nichts wirkt natürlich. Wenn Carsens Tosca etwa von ihrem Geliebten Cavaradossi hören will, dass er sie liebe, ballt sie eingeübt die Fäuste und gibt das trotzige Mädchen. Und auch in der packenden Auseinandersetzung mit dem Geheimpolizeichef Scar-pia bleibt Tosca über den blutigen Mord hinaus in ihrem Primadonnasein gefangen, sehr selten fällt die Maske. Daher ist es nur schlüssig, ihr berühmtes Gebet „Vissi d'arte“ als große Pose im Spotlight zu zeigen.

So weit, so intellektuell. Um Carsens Lesart von Tosca als quasi Meta-Diva nicht zur Parodie werden zu lassen, braucht es schon eine Sängerin wie Isabelle Kabatu, die diese gefürchtete Partie wirklich singen kann. Das berühmt-berüchtigte Metall in der Stimme gerät hier zum puren Gold, mit dem die Sopranistin ihre Zuhörer überflutet – Gänsehaut garantiert. Ebenso überrascht sie mit feinen Nuancen im Ausdruck. Darüber hinaus sieht Kabatu fantastisch aus und besitzt die Aura einer Primadonna. Kurz: eine Idealbesetzung.

Großartig ist auch Franz Grundheber als Scarpia. Vor allem im zweiten Akt weiß der Bariton glaubhaft den abgründigen Charakter des Psychopathen auszuloten. Eben noch gibt dieser Scarpia herrisch seine mörderischen Befehle, dann macht er sich schleimig-gierig an Tosca heran. Blass bleibt dagegen Walter Fraccaro als Revolutionär Cavaradossi.

Puccinis reißerischs-te Oper ist bei Metzmacher in guten Händen: So differenziert wie möglich und doch gleichzeitig so drastisch wie nötig lautet die Formel, nach der Hamburgs Generalmusikdirektor mit seinem Orchester spannungsgeladen musiziert. Denn merke: Oper ist mehr als die Summe aller Diven.

Dagmar Penzlin

Weitere Vorstellungen: 18., 22., 25., 28., 31.10., 3., 7., 10.11., jeweils 19.30 Uhr, Staatsoper