piwik no script img

Reclaim the Streets

Drei ADFC-Mitglieder streiten vor Gericht dafür, dass sie auf der Straße radeln dürfen, wenn der Radweg schlecht ist  ■ Von Gernot Knödler

Ginge es nach der Straßenverkehrsordnung (StVO), wäre alles in Butter: Möglichst zwei, mindestens 1,50 Meter breite Radwege führten an den Hamburger Straßen entlang, ohne viele Schlenker, mit glatter Oberfläche, sicher und übersichtlich – so sieht es die Verwaltungsvorschrift (VwV) zur StVO vor. Weil sich die Hamburger Behörden darum bis heute nicht kümmern, haben drei ADFC-Mitglieder gestern Musterklagen eingereicht. Sie wollen sich das Recht erstreiten, auf der Fahrbahn zu radeln, wenn die Radwege die von der Bundesregierung geforderten Kriterien nicht erfüllen.

Möglich geworden ist das, weil der Bundestag im Sommer 1997 die StVO geändert hat. Diese „Fahrrad-Novelle“ hob mit Wirkung vom 1.10.1998 die Benutzungspflicht für Radwege auf. Lediglich für besonders ausgeschilderte Radwege sollte sie künftig gelten.

Innen- und Baubehörde stellten daraufhin für eine gute halbe Million Mark die bekannten blau-weißen Schilder auf, jedoch ohne sich an die Qualitätskriterien für Radwege zu halten. Dabei hatte der ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad Club) bereits vor in Kraft treten der Novelle das Radwege-Netz untersucht und festgestellt, dass „80 Prozent der Radwege in Hamburg nicht die erforderlichen Kriterien erfüllten“.

Der ADFC unterstützte deshalb insgesamt sieben Widersprüche gegen die Radwegebenutzungspflicht auf ausgewählt schlechten Radwegen. „Seitdem hat sich im Grunde nichts getan“, resümiert der ADFC-Rechtsreferent Georg Bitter. „Normalerweise hätten die in wenigen Monaten beschieden werden müssen“, so der Jurist. Chris-toph Holstein, der Sprecher der Innenbehörde, bedauert, die Widersprüche seien im Dickicht der unterschiedlichen zuständigen Behörden hängen geblieben.

Mit Unterstützung des ADFC haben jetzt die drei RadfahrerInnen Birte Segger, Till Steffen und Georg Bitter Untätigkeitsklagen gegen die Stadt Hamburg erhoben. Sie beziehen sich auf die Gertigstraße, den Heußweg und die Eppendorfer Landstraße, sollen aber ein bundesweites Signal setzen und „notfalls bis zum Bundesverwaltungsgericht fortgeführt werden“, wie Bitter erläuterte.

Der renommierte Hamburger Verwaltungsrechtler Holger Schwemer, der die Kläger vertritt, will zum einen mit der Unsicherheit vieler behördlich ausgewiesener Radwege argumentieren. „Es ist einfach gefährlich, Radwege einzurichten, die zu schmal sind“, sagt der Anwalt. Zum anderen will er klären lassen, inwiefern Verwaltungs-Richtlinien des Bundes für die Länder verbindlich sind und ob Bürger sie einklagen können. Das Gericht müsse letztlich die Rechte der Radler und der Autofahrer gegeneinander abwägen.

Die Innenbehörde hat das nach eigener Ansicht längst getan: Die Behörde mute Radlern lieber zu, auf einem holprigen Radweg zu fahren, als sie auf einer stark befahrenen Straße in Gefahr zu bringen, so Holstein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen