Der Erbsenzähler

Hans-Olaf Henkel ist nur noch bis Jahresende BDI-Präsident. Danach droht der medial omnipräsente Rebellendarsteller mit dem Eintritt in die Politik

von WIGLAF DROSTE

Manchmal könnte man den Eindruck haben, Hans-Olaf Henkel sei gar nicht der Präsident des Bundesverbandes der Industrie. Sondern ein feingeistiger Kulturmensch, ein verhinderter Künstler und vor allem ein Rebell. Der Kopfschieflegerin Sabine Christiansen erzählte Henkel Mitte August, wie er als HSV-Fan Anthony Yeboah zujubelt; im Tagesspiegel schrieb der Querdenkerposeur, sein Lieblingsfilm sei „Der dritte Mann“ von Orson Welles; in zig Talkshows berichtete er, wie er die Beatles sah, bevor sie berühmt wurden.

Henkels Geschnackel als Hilferuf eines älteren Herrn zu deuten, der nicht den Weg des Alteisens gehen will, wäre naiv. Am 5. Oktober begrüßte er die Wachsfigurenkabinettistin Gunda Röstel in der Henkelwelt: „Willkommen in der deutschen Industrie!“, rief er der Grünen zu, die gerade als Managerin bei einem Tochterunternehmen des Energiekonzerns Eon angefangen hat. Henkel schmiert Röstel ein paar Komplimentstullen, lobt sie, von Kneifzangenmund zu Kneifzangenmund, als „faire, mutige und lernbereite Diskussionspartnerin“ und kommt zur Sache: „Es wäre Deutschland zu wünschen, dass der Schritt von Gunda Röstel keine Einbahnstraße bleibt. Es würde unserer Wirtschaft gut tun, wenn auch Pragmatiker mit fundierter Managementerfahrung in die Politik gingen.“ Rein zufällig wird Henkel Ende des Jahres sein Amt als BDI-Präsident niederlegen. Hat er schon wieder eine Anzeige aufgegeben: „Pragmatiker, 60, schlk., m. fund. Erf. im Management, sucht neuen Wirkungskreis in der Politik“?

Auch die Veröffentlichung seiner Memoiren in diesem Herbst legt den Schluss nahe. In Henkels Kampagne in eigener Sache spielt das dicke Eigenbuch eine wichtige Rolle. „Die Macht der Freiheit“ heißt das Teil – so pompös formuliert einer, der sich als Freiheitsheld verkaufen möchte, weil es ihm um Macht geht, die aber weniger gut beleumundet ist. Pat Garrett spielt Billy the Kid, könnte man sagen, wenn Henkel von der Tragik eines Garrett nicht so weit entfernt wäre.

Der Erbsenzähler und Funktionär macht sich selbst die Eloge zurecht auf den selbstständigen Kopf, der er vielleicht wirklich gerne gewesen wäre, aber wer will das wissen? Er schreibt unüberbietbar selbstgefällig, verteilt gönnerhaft Zensuren an Politiker, die ihm behagen, und erstattet knurrend Anzeige gegen jeden, der eine Mark Steuern von der deutschen Wirtschaft verlangt. Penetrant zeichnet sich Henkel als unabhängigen Geist über allen Wassern. „Für mich“, behauptet er, „gibt es keine ‚eigenen Reihen‘.“ Da hält sich einer für eine Persönlichkeit, weil er es ein bisschen zu etwas bringen durfte in der Sekundärtugendenwelt der Geldmacherei.

Zwischen den angehäuften Banalitäten seines Lebens wirkt es fast wie Selbsterkenntnis, wenn Henkel zwischen sich und Gerhard Schröder „gewisse Parallelen“ feststellt. So kann man es auch formulieren, wenn zwei sich bei ihrem Fortkommen an Brutalität gegenseitig nicht nachstehen. Solche Aufsteigerexistenzen sind wahrscheinlich der Preis für die Durchlässigkeit und Offenheit einer Gesellschaft; wenn man aber hören oder lesen muss, was sie so daherreden, kann man zu der Ansicht kommen, dieser Preis sei entschieden zu hoch. Mit dem Volksmund gesprochen: Fehlt nur noch der Henkel zum Wegschmeißen.

Einmal saß ich mit Hans-Olaf Henkel im selben Flugzeug. Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt. Gäbe es einen Gott, einen guten und gerechten Gott, er hätte das Flugzeug abstürzen und zerschellen lassen. Schließlich saß ich im Flugzeug, und ein Gott, der sich diese Gelegenheit entgehen ließe, wäre eine ziemliche Poftüte. Andererseits saß ja auch Henkel im Flugzeug – weshalb Gott es keinesfalls abstürzen lassen konnte, denn er hatte noch Großes vor mit Hans-Olaf Henkel. Eine knifflige Sache, Gott im Patt quasi, und die Frage, ob es ihn denn gäbe, musste wieder einmal vertagt werden.

Hans-Olaf Henkel, „Die Macht der Freiheit“. Econ, München 2000, 272 Seiten, 39,90 DM