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Ältester KP-Chef der Welt tot

Zum Tode Gus Halls, des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei der USA. Er organisierte Streiks, saß im Gefängnis, kandidierte für die Präsidentschaft – und führte die KP in die Bedeutungslosigkeit

aus Washington PETER TAUTFEST

„Was ist heute der Unterschied zwischen der ehemaligen Sowjetunion und den USA? Die USA haben noch eine kommunistische Partei.“ Die Scherzfrage stellte Gus Hall Anfang der 90er-Jahre. Der Vorsitzende der amerikanischen Kommunistischen Partei (CPUSA) starb, wie erst Anfang der Woche bekannt wurde, am Freitag vergangener Woche in Yonkers, New York im Alter von neunzig Jahren an Diabetes.

Hall kannte alle Sowjetführer von Lenin bis Gorbatschow. Gorbatschow und Jelzin allerdings bezeichnete er als „Abwracker“ des Sozialismus. In Halls Büro in Manhattan hing ein Wandteppich mit dem Bildnis von Karl Marx, ein Geschenk von Erich Honecker.

Gus Hall führte die amerikanische KP in die Bedeutungslosigkeit. Er war ihr Vorsitzender zu einer Zeit, da sie durch die Kommunistenhatz der McCarthy-Ära, den Kalten Krieg und den Wirtschaftsboom der Nachkriegsjahre von an die 100.000 Mitglieder Mitte der 30er-Jahre auf 3.000 Mitglieder absackte. Gus Hall kandidierte zwischen 1972 und 1984 viermal für die Präsidentschaft der USA. Sein bestes Ergebnis erzielte er 1976 mit 58.992 Stimmen.

Gus Hall wurde 1910 in Iron, Minnesota als Arvo Kusta Halberg geboren. Er war eines von zehn Kindern des finnischen Immigranten und Bergarbeiters Matt Halberg und seiner Frau Susannah. Vater Halberg gehörte zu den International Workers of the World und kam als Streikorganisator bald auf die schwarze Liste der Minenbesitzer. 1919 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der CPUSA und warb seinen Sohn Arvo 1927 für die Partei an. Der verließ nach der achten Klasse die Schule, um als Holzfäller für den Unterhalt der Familie zu sorgen und sich in der kommunistischen Jugendbewegung zu engagieren.

1933 kehrte er von einem Lehrgang am Moskauer Lenininstitut in die USA zurück. Er wurde Parteiorganisator im Mittleren Westen und organisierte Streiks in Youngstown, Ohio. In der Zeit änderte er seinen Namen in Gus Hall. Zweimal kam er wegen Anstiftung zum Aufruhr ins Gefängnis. Aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt, stieg er in der Hierarchie der Kommunistischen Partei auf. In den USA aber hatten der Kalte Krieg und die Kommunistenhysterie begonnen. 1948 wurde Hall zusammen mit elf Parteifunktionären angeklagt, die Regierung der USA mit Gewalt stürzen zu wollen. Zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, floh er nach Mexiko, von wo aus er in die Sowjetunion weiterreisen wollte. Er wurde aber gefasst und an die USA ausgeliefert. Sieben Jahre saß er in Kansas im Gefängnis. Danach hatte er die Aura des Märtyrers der Partei, deren Vorsitzender er 1959 wurde.

Ein gewisses Revival erlebten die CPUSA und Gus Hall Anfang der 60er-Jahre durch die Studenten- und Antikriegsbewegung. Doch Hall wollte die Partei nicht öffnen. Er war wie die Studenten gegen den Vietnamkrieg, wollte aber von der Frauen- und Umweltbewegung ebenso wenig wissen wie von Veränderungen im Ostblock. Den Einmarsch der Sowjetunion in die Tschechoslowakei 1968 hieß er gut.

Anfang der 90er-Jahre warnte Hall vor neuer Kommunistenverfolgung – in der Sowjetunion Gorbatschows. Zum Schluss sah er Korea als Vorbild. „Der Sozialismus ist unvermeidlich“, sagte er in einem Interview 1992, „das Leben kann so nicht ewig weitergehen, und Rückschläge haben letztlich keine Bedeutung.“

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