: Die Mikronation lebt
DIGITALE DEMOKRATIE (2): Viele der Netzinitiativen scheitern, weil sie nicht koordiniert werden. Wir brauchen dazu dringend ein Internetministerium in Deutschland!
„General T“ hat abgedankt. Er war der erste Internetkanzler und das für ganze zwei Monate. Ihm folgte „Reto“, der den Job jetzt seit etwa einem Monat macht. Gemein ist beiden, dass sie politisch engagiert sind, aber dennoch keine reale Macht besitzen. Nun ist es nicht grundsätzlich neu, dass mit politischem Engagement nicht unbedingt politische Macht einhergeht. Die Politik-Internetgemeinschaft „democracy online 2day“ (www.dol2day.de), die bereits die zweite „Kanzlerwahl im Internet“ veranstaltete, möchte auch gar keine direkte Macht ausüben: Ihr geht es darum, die Einstellungen der heutigen Internet-Generation an die Politiker zu vermitteln und zu zeigen, dass das Internet sehr wohl als politisches Medium zu gebrauchen ist. Dazu haben sie sich eine Art politisches Monopoly ausgedacht, an dem etwa 5.000 eingeschriebene Internetnutzer mitspielen. Dabei müssen die einzelnen Parteien und ihre Kandidaten auch „Bimbes“ sammeln. Wer von den Mitspielern als politisch besonders engagiert empfunden wird, bekommt die meisten Spenden: So lässt sich ermitteln, welche Programme und Konzepte bei der Internetgeneration am besten ankommen.
Aber auch Beispiele wie Internet-Petitionen gegen Werbe-E-Mails oder Aktionen für die Einführung von günstigen Pauschaltarifen, die ohne Taktung abrechnen (www.ungetaktet.de) zeigen, dass das Interesse an politischen Auseinandersetzungen im Netz größer ist als je zuvor ist. Allerdings ist das politische Ziel hier noch selbstbezogen – es geht um die bessere Nutzbarkeit des Internets.
Doch lässt sich gleichzeitig beobachten, dass das Netz auch eine neue Protestkultur für alte Themen hervorbringt. Denn durch das Internet können sich Akteure besser zusammenschließen, besser artikulieren. Angefangen von den E-Mail-Bombardements auf den französischen Präsidenten, als der die Atombombe unter dem Mururoa-Atoll hochgehen ließ, bis hin zu jenen jugoslawischen Bürgern, die unter dem Namen „Cyber Yugoslavia“ als so genannte „Mikronation“ im Netz firmieren, lässt sich die digitale Spur des politischen Protests verfolgen. Dennoch besitzen solche Aktionen auch Auswirkungen auf die „reale Welt“. So plant die Mikronation „Cyber Yugoslavia“, sobald sie eine Einwohnerzahl von fünf Millionen Bürgern erreicht, die UNO-Mitgliedschaft zu beantragen und somit als souveräner Staat zu gelten (www.juga.com). Zugleich wollen sich die virtuellen Bürger ein Territorium von zwanzig Quadratmetern von der UNO erbitten, in welchem sie als Zentrum des Staates ihren Server platzieren können. (Anm. der Redaktion: Einer unserer Mitarbeiter ist sogar Staatsbürger dieses „Cyber Yugoslavia“ und amtiert dort als Minister für „Gastarbajter und Rakija“.)
Für die Haudegen der mittlerweile „alten sozialen Bewegungen“ muten diese neuen Artikulations- und Vergemeinschaftungsformen oft ein wenig seltsam an, und momentan werden diese Aktionen im Diskurs um gesellschaftspolitische Probleme eher am Rande wahrgenommen. Doch ablesbar an diesen Beispielen ist, dass sich die Formen der politischen Auseinandersetzungen in den nächsten Jahren gehörig ändern werden und dass sich hier nur der Anfang einer neuen politischen Kultur offenbart. Aber auch die deutschen Aktivitäten auf dem Weg zur digitalen Demokratie werden äußerst skeptisch betrachtet oder allzu oft fälschlicherweise auf das bloße Wählen am Computer reduziert. Eine schlichte TED-Abstimmung hatten der Internetvisionär Howard Rheingold oder Al Gore aber sicher nicht im Sinn, als sie sich seinerzeit vom Netz eine „Wiederbelebung des griechischen Marktplatzes“ oder eine „Neugeburt der athenischen Demokratie“ erhofften.
Überrascht muss man jedoch feststellen, dass die ersten Einbrüche auf dem Neuen Markt sowie die ersten Konkurse so genannter „Start-ups“ sofort dafür sorgten, dass die digitalen Visionen einer demokratischeren und engagierteren Gesellschaft ins Abseits geraten. Stattdessen ist viel die Rede von der wachsenden digitalen Spaltung (digital divide) zwischen Arm und Reich oder von der Flut unnützer Informationen. Das Überschwängliche ist dabei zum Leidwesen der politisch motivierten Akteure im Internet nicht dem Realistischen, sondern vielmehr einem allgemeinen Pessimismus gewichen.
Doch wo sind die Chancen für die Demokratie durchs Internet, bei all den berechtigten Risiken, die zurzeit diskutiert werden? Wie immer liegt die Wahrheit irgendwo zwischen Apokalypse und utopischem Paradies. Zunächst hilft es, sich zu fragen, wer die „Demokratie-Latte“ so hoch gehängt hat. Wie fast alle Diskurse wird auch die Diskussion maßgeblich von einer Generation bestimmt, die meist noch nicht einmal eine Ahnung davon hat, wie ein Computer funktioniert. Doch Unkenntnis schützt – wie oft erlebt – leider nicht vorm Mitplappern, besonders nicht, wenn es um gesellschaftspolitische Visionen geht. So stellt man sich die berechtigte Frage, ob neuerdings nicht ein wenig Schadenfreude mit im Spiel ist, wenn es um den vermeintlichen „Hype ums Netz“ geht.
„Hype“ lässt sich höchstens beim Kanzler feststellen und seiner Initiative „D 21“: Die Netzinitiativen der Regierung lassen eine klare Richtung vermissen. Schröder will zwar bis zum Jahr 2005 jede Dienstleistung der Bundesverwaltung online bereitstellen (www.bund.de); das Innenministerium verschlankt den Staat mit der Initiative staat-modern (www.staat-modern.de); und zahlreiche Städte arbeiten längst an der kommunalen Online-Verwaltung (www.mediakomm.net), die vom Bundeswirtschaftsministerium mit 50 Millionen Mark getragen wird. Doch wer kann da noch durchblicken oder Synergien nutzen? In diesem Sammelsurium von digitalen Institutionen und Experten ist auch nicht ein Hauch von Koordination zu erkennen.
Die aktuelle Multimediainitiative der Bundesregierung erinnert stark an die Startschwierigkeiten nach der Wahl von Rot-Grün. Eine kürzlich veröffentlichte Studie von Booz Allen & Hamilton („Digitale Spaltung in Deutschland“) kommt zu dem Schluss, dass noch erhebliche Defizite bei der Abstimmung der verschiedenen Bemühungen bestehen. Es fehlt eine zentrale Stelle, die alle Anstrengungen bündelt und den Informationsfluss beweglich hält. Ein spezielles Internetministerium – wie es andere europäische Länder eingerichtet haben – wäre ein erster möglicher Schritt. Dass jedenfalls eine koordinierende Stelle dringend erforderlich ist, zeigt die Fülle der Projekte und Initiativen, die derzeit wie Pilze aus dem digitalen Brachland schießen. Landesregierungen, Ministerien, Verbände und Privatwirtschaft müssen sich stärker vernetzen und in ihren Aktionen abstimmen.
Über ein solches Internetministerium müssten die jetzigen Internetregierungsaktionäre Schily, Müller und Bulmahn verhandeln. Und allein daraus resultiert bereits ein neues Problem. Vielleicht sucht „General T“ ja gerade einen neuen Job – oder was macht eigentlich Jost Stollmann? STEFFEN WENZEL
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