: Behinderter Körper im Wasser
Außerhalb der Norm: Die Company DIN A 13 verbindet Tanztheater mit Körperpolitik
Wenn eine schwer behinderte Frau an den Haaren über den Boden geschleift wird, ist das gewöhnlich ein Grund für helle Empörung. Wenn dies jedoch in der Aufführung eines Tanztheaters stattfindet, inszeniert von ebendieser Frau, dann ist man als Zuschauer plötzlich selbst wie gelähmt.
Seit etwa fünf Jahren wirbelt die Kölnerin Gerda König mit den Stücken ihrer Tanzcompany DIN A 13 die Kategorien durcheinander. Tatsächlich ist das in Deutschland nicht besonders schwierig: Hierzulande stellt sich selbst ein aufgeklärtes Publikum unter einer Tanzaufführung von Akteuren mit und ohne Handicaps gewöhnlich eine pädagogische Maßnahme der „Aktion Sorgenkind“ vor. Mithin wirken Inhalt, Inszenierung und Qualität von DIN-A 13-Stücken weiterhin recht schockierend.
Heute Abend wird in Köln das neue Stück „Colors of Longing“ uraufgeführt; es ist die vierte Inszenierung von DIN A 13. Ein wenig scheint das Stück aus dem Rahmen der bisherigen Arbeiten zu fallen, denn das Thema ist ein Gefühl: „Sehnsucht“. Bislang hatten alle Vorstellungen der Company etwas von Interventionen in Sachen Körperpolitik – dabei ging es um Normen und Tabus, orthopädische Begradigungen und (gen-)technische Manipulationen. Tatsächlich aber war die „Sehnsucht“ bereits ein Thema in dem beeindruckenden frühen Duett „Body distance between the minds“, das Gerda König mit ihrem damaligen Partner Dominic Muscat tanzte. Das Stück war ganz auf Königs deformierten, in Blau getauchten Körper konzentriert, Muscat echote lediglich ihre Bewegungen. Die waren sparsam und fanden liegend auf dem Boden der Bühne statt, denn die heute vierunddreißigjährige Tänzerin kann lediglich ihre Arme und ihren Kopf bewegen. In Erinnerung blieben vor allem die expressionistischen Gesten ihrer langen, zerbrechlichen Finger.
Da es solche ungewöhnlichen Bewegungen sind, welche den tänzerischen Ausdruck von DIN A 13 prägen, bleiben die Stücke freilich auch dann körperpolitische Interventionen, wenn es um Gefühle geht. DIN A 13 bewerten den Körper neu – sie bringen Bewegungen auf die Bühne, die ausschließlich von besonderen, von anderen Körpern gemacht werden können. Auch in Königs neuem Stück wird viel im Liegen getanzt. Die „gelbe“ Eingangsphase etwa besteht aus der Darstellung einer angenehm-melancholischen Sehnsuchtsstimmung durch die Interaktion der behinderten Tänzerin Dorothea Krampe und der nicht behinderten Gitta Roser. König selbst ist diesmal nur auf einer Videoleinwand im Hintergrund präsent – ihr Körper ist in Wasser und farbiges Licht getaucht. Nächtelang hat sie in den Kölner Claudiusthermen unter schwierigen Bedingungen gefilmt. Wie sie erzählt, wollte sie unbedingt mit Wasser arbeiten; nicht zuletzt, um ihre Angst vor dem Ertrinken zu überwinden. Zudem haben technische Hilfsmittel in ihren Stücken immer eine große Rolle gespielt. Damit kennt sie sich aus, schließlich braucht sie ununterbrochen Technik, um sich überhaupt fortzubewegen. In früheren Arbeiten hat Gerda König die Zumutung an die eigene Person an das Publikum weitergegeben: Ihre Stücke hatten manchmal eine fast gewalttätige Intensität. Diesmal ist die Provokation in den Hintergrund getreten zugunsten von ästhetischer Verfeinerung. MARK TERKESSIDIS
Das Stück ist am 20. 10. (Premiere),21. und 22. 10. in der Alten Feuerwache in Köln zu sehen.
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