: Der Mann ohne Gedächtnis
Vor dem Untersuchungsausschuss vor dem Wiesbadener Landtag konnte sich der ehemalige hessische CDU-Generalsekretär Manfred Kanther an nichts mehr erinnern. Bis auf eines: Hessens Regierungschef Roland Koch hat von nichts gewusst
aus Wiesbaden KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Dass er 61 Jahre alt ist und in Wiesbaden wohnt, wusste Manfred Kanther (CDU) gestern noch. Auch konnte er sich erinnern, dass er von 1970 bis 1987 Landesgeschäftsführer der hessischen Union war – und in dieser Zeit in Personalunion auch Generalsekretär seiner Partei. Die Obmänner von SPD und Bündnisgrünen im Untersuchungsausschuss des hessischen Landtages zur CDU-Spendenaffäre konnten dem ehemaligen Bundesinnenminister auch noch das Bekenntnis entlocken, Ende 1983 maßgeblich am Transfer von rund 22 Millionen Mark aus der Parteikasse der hessischen CDU auf geheime Konten in der Schweiz beteiligt gewesen zu sein.
Bei der Erfüllung dieser „Loyalitätspflicht“ (Kanther) gegenüber den „Freunden der Partei“, die viel Geld für den Aufbau der CDU in Hessen gespendet hätten, habe auch Casimir Johannes Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg mitgemacht, damals Schatzmeister der hessischen CDU. Nur deshalb sei das Geld noch vor Inkrafttreten des neuen Parteiengesetzes im Januar 1984 ins Ausland verschoben worden. Das Gesetz schrieb nämlich Rechenschaftsberichte und die Bekanntgabe der Namen der Spender zwingend vor.
Dann gab Manfred Kanther doch noch einen weiteren Grund für die illegale Transaktion an, der zur Erheiterung des Auditoriums beitrug: „Hätte die Welt damals erfahren, dass die CDU in Hessen über 22 Millionen Mark verfügt, hätte uns doch kein Mensch mehr was gespendet.“
Mitwisser sei Horst Weyrauch gewesen. Der Mann mit dem Koffer brachte über Jahre hinweg im Auftrag des „schwarzen Sheriffs“, wie der politische Rechtsausleger Manfred Kanther von linken Gegnern genannt wird, Bargeld in die Schweiz – und holte es dort bei Bedarf wieder ab. Alles „olle Kamellen“, wie CDUler im Landtag gestern grinsend anmerkten.
Wie originell und rhetorisch geschickt vor allem Rupert von Plottnitz von den Grünen und Jürgen Walter von der SPD auch versuchten, dem „Zeugen Kanther“ den Schneid abzukaufen: Kanther stand – und schwieg. Die politische Verantwortung für den illegalen Millionentransfer hat er alleine übernommen. Weder der damalige Landesvorsitzende und spätere Ministerpräsident Walter Wallmann noch der heutige Landesvorsitzende und Ministerpräsident Roland Koch hätten davon gewusst.
Doch dann sagt Kanther entschuldigend, aber ohne Larmoyanz: „Niemand von uns hat zum eigenen Vorteil gehandelt. Und kein Pfennig wurde je zweckentfremdet.“ Das Geld aus dem Ausland sei ausschließlich der CDU-Hessen zugeflossen.
Danach hätte die Befragung von Kanther eigentlich abgebrochen werden können. An nichts sonst nämlich konnte er sich erinnern: nicht an die Herkunft der 22 Millionen. Nicht an die Spender. Nicht daran, wer außer ihm, dem Prinzen und Weyrauch noch Zugriff auf die Auslandskonten oder überhaupt auf Konten der hessischen CDU hatte. Dass er seit 1970 alle Wahlkämpfe organisiert hatte, bestätigte Kanther zwar gerne. Was sie kosteten, wusste er aber auch nicht mehr zu sagen: „Da kann ich noch so viel in meinem Zahlengedächtnis herumstöbern.“
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