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Lecker: Drei Mark Fünfzig nur mit Ausweis

■ Das sind sie, die günstigsten Hotspots der Mittagszeit: Essen in der City schnell und manchmal schön / Von der Gerichtsklause bis zum Finanzsenatoren-Futter und alles um 5 Mark Von Julia Baier (Fotos) und Imke Gloyer

Oh Gott, schon wieder Mittagspause und nur eine halbe Stunde Zeit. Schnell die Stullen raus, den Schreibtisch vollkrümeln und dann wieder zurück an die Arbeit. Alternativen? Restaurants dauern zu lange und sind vor allem teuer. Ewig Frittenbude kann es auch nicht sein. In einigen Behörden findet man aber eine Kantin – für so manche ein Ort voller Vorurteile: Immer Grau, immer das Gleiche zu essen – und das auch noch ohne Geschmack. Unfreundliche Angestellte mit Haarnetz, die mit einer großen Kelle kleine Haufen Nahrung auf den Teller klatschen. Das muss nicht so sein. Bestes Beispiel: Behörden-Kantinen in der Bremer Innenstadt. Die sind eher besinnliche Orte der Nahrungsaufnahme, wahre Geheimtipps für finanzschwache Hungrige. Zu finden sind die Groß-Essensausgaben im Amtsgericht, im Finanzamt, beim Senator für Umwelt im Ansgaritor und im Arbeitsamt. Hier kann jeder essen, auch ohne Behördenausweis.

Tische mit grünen Platikdecken, rote und gelbe Holzstühle, hier und da ein paar Topfpflanzen – in der Kantine des Amtsgerichtes ist es alles andere als Grau. Pusta-Krauttopf, Hähnchen-Cordon-bleu und grüne Paprikaschoten stehen diese Woche auf dem Speiseplan. „Zünftige Hausmannskost, reichlich und gut“, urteilt Wolf-Dieter Giering, Justizsekretär. Vier verschiedene Gerichte hält Küchenchef Jürgen Bernert jeden Tag bereit. Dosenfutter kommt dem Koch dabei nicht in den Topf, Tiefkühlkost ist im Amtsgericht angesagt. „Unser Essen ist gesund, fett- und salzarm“, verspricht Bernert. Fünf bis acht Mark kostet hier die Mahlzeit, Vegetarier werden leider nur meistens bedacht. „Und man kann sich ja auch was Fleischloses nur aus Beilagen zusammenstellen. Kostet dann 3,50 Mark“, sagt der Koch. Eigentlich hängt draußen ja ein Schild, das für Kantinenbesucher auf Behördenausweis-Pflicht hinweist – was hier jedoch nichts heißen soll. „Zur Kontrolle haben wir doch gar keine Zeit“, erläutert Bernert.

Andere Kantine, gleiches Problem. Auch im Finanzamt wird die Ausweispflicht nicht ganz ernst genommen – zu wenig Personal. „Bis hier jeder seinen Ausweis rausgekramt hat, steht eine Riesenschlange an der Kasse“, beschreibt Hartmut Kuschela, Chef und Koch in der Finanzkantine. Eine Art Steckkartensystem könne er sich da vorstellen. Das Essen (Kohlroulade, Totellini und Matjesfilet „Hausfrauen Art“) tragen die Hungrigen im dezent mintfarben dekorierten Raum an dezent mintfarbene Tische, wahlweise auf zwei Ebenen verteilt. Etwas mehr Farbe bringen die Teller in das Mint in Mint, denn keiner sieht hier aus wie der andere. „Das Essen ist schon abwechslungsreich, wenn auch nicht immer geschmacklich. Es schmeckt gut, aber ab und zu muß man einfach mal raus hier“, urteilt Klaus-Richard Neumann, technischer Angestellter. Um die sechs Mark muss man im Finanzamt fürs Mittagessen auf die Theke legen, wählen kann man zwischen sechs bis sieben Gerichten, eines davon bestimmt rein vegetarisch. Die Kunden sind zufrieden, meint Kuschela. „Natürlich gibt es da auch chronische Meckerer. Aber die kann man nicht für voll nehmen. Ich würd' ja nicht wiederkommen, wenn es mir nicht schmeckt“, wundert er sich.

„Das ist die beste Kantine in der gesamten Bundesrepublik“, lautet das Urteil von Joachim Brandes über die Kantine im Ansgaritor. „Ich find's schön, dass es hier so bürgerlich ist“, meint dazu Frank Meyer, Systemadministrator. Rührei, Bratwurst oder Sülze, Beilagen wie Bratkartoffeln, Sauerkraut und Kartoffelbrei bietet Koch Jörn Hagens den Hungrigen an. „Und ein bis zwei Wochen im Jahr gibt's Schonkost“, sagt er. Vier bis fünf Gerichte stehen jeden Tag zur Wahl. Kostenfaktor: fünf bis sechs Mark. Vegetarier verweist Hagens an die Beilagen oder das Salatbuffet. Nix mit lecker Tofu-Burger oder Selleriesteak.

Nicht gerade appetitanregend ist in der Ansgari-Kantine allerdings das sterile Ambiente. „Hier wurde gerade renoviert, ich dachte, das wird schöner“, beklagt sich Meyer. Schneeweiße Wände, Tische und Stühle, hier und da mal ein Salzstreuer, ein paar Bilder vom uralten Bremen an den Wänden. Die zwei Plastikblumengestecke gehen in der weißen Leere des Raumes hinter den Rücken der Kantinenbesucher unter. Auch das an eine spanische Wand erinnernde Gebilde in der Mitte der Kantine kann daran nichts ändern.

Lauschige Fressecken, mit Blumenkübeln abgegrenzt, Parkettboden. So ißt es sich in der Kantine im Arbeitsamt. Auffällig: hier sieht man noch die große Kelle, mit der die Angestellten das Essen jedoch äußerst liebevoll auf den Teller verfrachten. Ein freundliches „Biddeschön“ immer gleich hinterher. Sehr lobenswert zu erwähnen ist hier auch das Angebot für Vegetarier, das jeden Tag garantiert auf der Liste steht. Glacierte Möhren und Getreidebratlinge heißt es für die Fleischlosen auf dem Speiseplan. Der Rest wird mit Essbarem wie serbisches Reisfleisch oder Bratheringen verköstigt. „Lecker“, schmatzt ein Gast. „In Ordnung“, schmeißt sein Nachbar ebenso kurz und bündig hinterher. Auf zwei Dinge sind die Angestellten in der Arbeitsamtskantine besonders stolz: das Verwerten von marktfrischem Gemüse (neben der Tiefkühlkost) und den tollen Panoramablick aus dem Kantinenfenster. „Wir kriegen zu 99 Prozent auch nur positives Feedback“, betont Emanuel Raschdorf, Angestellter und Ehemann der Chefin. Die Preistafel im Arbeitsamt zeigt für Angestellte 5 bis 6,50 Mark an, Gäste müssen 50 Pfennig drauflegen.

Wie es einem gefällt, ob Stullen oder Kantinenfutter, Restaurant oder Frittenbude, es sei jedem selber überlassen. Letztendlich könnte man es aber auch Justizsenator Henning Scherf nachmachen. Über den berichtet Klaus Schloesser, Pressesprecher im Rathaus, folgendes: „Er tigert fröhlich durch die Stadt, hält beim Gemüsehändler einen kleinen Schnack und kauft sich dann 'nen Apfel.“

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