: Unbeugsames Geflügel
Ohne Solidarität wär oft der schönste Plot dahin. Im Film wird eben zusammengehalten, egal ob Kirk Douglas gegen Rom antritt („Spartacus“) oder Knetgummitiere um ein bisschen Freiheit ringen („Hennen rennen“)
von HARALD KELLER
Nur selten noch machen sich Kinobetreiber die Mühe, ihre Filme nach Themen zu ordnen. In den 80er- und 90er-Jahren hingegen konnte es geschehen, dass politisch engagierte Programmkinos oder Filmclubs einen Begriff wie „Solidarität“ durch eine Lichtspielreihe illustrierten. Passende Titel finden sich sonder Zahl, und das Angebot reicht vom Monumentalfilm bis hin zu leicht Abwegigem aus der Schmuddelecke.
Noch im Verfolgen politischer Ziele bedeutet Kintopp Realitätsflucht – und überhaupt sind Darstellungen solidarischen Handelns am schönsten, wenn sie mit einem exotischen Anstrich dargeboten werden. Schon B. Traven wusste Klassenkampf und Abenteuerliteratur publikumswirksam zu verbinden, und so stehen Verfilmungen seiner Romane wie „Rebellion der Gehenkten“ (Mexiko 1954) oder „Das Totenschiff“, 1959 mit den Jungdarstellern Horst Buchholz, Mario Adorf und Elke Sommer in deutsch-mexikanischer Koproduktion realisiert, am Anfang dieser Betrachtung zum Thema Kinematografie und Solidarität.
Einer der vornehmsten Kandidaten trägt den Namen „Spartacus“ (USA 1959/60). Obzwar sich Stanley Kubrick in dem für damalige Verhältnisse unerhört teuren Kostümepos kleine Sticheleien nicht verkneifen mochte, war es insgesamt doch ernst und emphatisch, wie Hauptdarsteller Kirk Douglas als Spartacus statt in Schaukämpfen blutig zu meucheln seine Gladiatorenkollegen zum Aufstand anstachelte. Auch hinter den Kulissen zeigte Douglas Courage und sorgte dafür, dass der Drehbuchautor Dalton Trumbo unter eigenem Namen geführt wurde. 1947 hatte Trumbo vor dem McCarthy-Ausschuss jede Aussage verweigert und war für seine Überzeugung ins Gefängnis gegangen. Nach einer zehnmonatigen Haftstrafe schrieb er zwar weiterhin Drehbücher, konnte diese aber nur unter Pseudonym oder durch Strohmänner und zum Schleuderpreis veräußern. Ironie der Geschichte, dass Trumbo 1956 unter dem Decknamen „Robert Rich“ einen Oscar gewann. In Empfang nehmen durfte er die Statuette erst 1975, ein Jahr vor seinem Tod.
Entfaltete sich Spartacus’ Rebellion schon kolossal im Breitwandformat, wählte David Lean sogar den 70-mm-Film, um „Lawrence von Arabien“ (GB 1962) ins rechte Wüstenlicht zu setzen. Thomas Edward Lawrence vereinigte zur Zeit des Ersten Weltkriegs die zerstrittenen arabischen Stämme und organisierte deren Revolte gegen das Osmanische Reich. Anders als Spartacus wurde Lawrence nicht zum Märtyrer und zeigte obendrein gewisse Charakterschwächen, sodass 1917 linke SPD-Abweichler und später marxistische Studenten stolz im Namen Spartacus’ dahinagitierten, ein „Lawrencebund“ hingegen bis heute nicht auffällig geworden ist.
Weniger monumental, aber doch imposant und mit einigem Geschick arrangiert sind die Solidaritätsaktionen in „Black Snake“ (USA 1972), einem auf einer Zuckerrohrplantage angesiedelten, wüsten Revolutionsfilm des großen Gesellschaftssatirikers Russ Meyer. Eine ganz ähnliche Stoßrichtung verfolgt auch „Queimada“ (Italien 1969), zeitweilig ein Dauerbrenner in studentischen Filmclubs, weil darin der noch halbwegs ranke Marlon Brando zur Musik Ennio Morricones die Sklaven einer karibischen Insel in den Kampf gegen ihren portugiesischen Peiniger führt. Und Befreiung aus brutaler Knechtschaft ist schließlich auch das Ziel des unbeugsamen Geflügels im weitaus weniger kontrovers aufgefassten Animationsfilm „Hennen rennen“ (GB 2000).
Vielleicht überrascht an dieser Stelle der Name Sylvester Stallone. Eben der jedoch verkörpert in Norman Jewisons „F.I.S.T. – Ein Mann geht seinen Weg“ (USA 1977) einen charismatischen Gewerkschaftsführer. Der Film greift Motive aus der Biografie Jimmy Hoffas auf und beginnt in den Dreißigerjahren, als Arbeitskämpfe noch mit vollem Körpereinsatz ausgetragen wurden. Ähnliche Szenen finden sich in Uli Edels Romanverfilmung „Letzte Ausfahrt Brooklyn“ (BRD 1988).
Unter die Rubrik „Bekannte Gesichter in untypischen Rollen“ fällt ferner Carlo Lizzanis „Mögen sie in Frieden ruh’n“ (Italien 1966). Darin übernimmt Lou Castel die Bestimmung seines ermordeten Vaters, Mexiko von US-amerikanischen Marodeuren zu befreien. Die Rolle eines Revolutionspriesters spielt mit flackerndem Blick Pier Paolo Pasolini.
Angewandte Solidarität ist eine besondere Tugend des „Hongkong-Kinos“. In der früheren Kronkolonie nämlich kennt man die Einrichtung des Benefiz-Films. 1991 versammelte die Action-Komödie „Twin Dragons“ hochkarätige Stars wie Jackie Chan, Maggie Cheung, Tsui Hark, Ringo Lam und Eric Tsang vor und hinter der Kamera. Die Erlöse kamen der „Hongkong Director’s Guild“ zugute, die dringend ein neues Bürogebäude benötigte. Dass bis heute kein Spatenstich erfolgt ist, mindert nicht die gute Absicht der Beteiligten.
Namentlich Jackie Chan lässt sich in derlei Dingen nicht lumpen. Als Jimmy Wang Yu, ein Neuerer des Action-Films, der in den 60er-Jahren gleichsam den Weg bereitete für die späteren Topstars Bruce Lee, Jackie Chan und Jet Li, 1991 ein Comeback als Schauspieler, Regisseur und Produzent versuchte, stellte sich Chan, der auch schon für die Interessen seiner Kollegen auf die Straße ging, als Nebendarsteller zur Verfügung und verhalf dadurch dem Unternehmen zu einiger Aufmerksamkeit.
Für Chans Verhältnisse ungewöhnlich politisch war der 1994 zum Teil in der VR China gedrehte Historienfilm „Drunken Master 2“, denn als Strolche müssen hier die britischen Kolonialherren herhalten, die Chinas Kunstschätze rauben und das Volk zur Fronarbeit zwingen.
Gäbe es das segensreiche Genre Benefizfilm auch in Deutschland, dann würden vergleichsweise Götz George, Franka Potente, Til Schweiger und Moritz Bleibtreu zusammenwirken und unter der Doppelregie von Dominik Graf und Ralf Huettner eine alberne kleine Kinoklamotte drehen, deren Nettoerlös der taz vermutlich aus dem Gröbsten heraushülfe. – So viel zur Traumfabrik ...
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen