Guter Mann, schlechte Zeiten

Angela Merkel lobte ihren Generalsekretär Ruprecht Polenz gestern zum letzten Mal: Zum Abschied. Er war ein bisschen zu ruhig für die Opposition

von JENS KÖNIG

Kokain hat Ruprecht Polenz ganz offensichtlich nicht genommen. Gerüchte über ein wildes Privatleben des eigentlich braven Familienvaters sind auch nicht im Umlauf. Und von Uli Hoeneß ist im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin weit und breit nichts zu sehen. Trotzdem war der CDU-Generalsekretär gestern genauso schnell weg vom Fenster wie am Wochenende Christoph Daum.

Am Montagmorgen deutete noch nichts auf diese Überraschung hin. Am Vormittag dann gab es erste Gerüchte, Polenz werde abgelöst. Um 11.24 Uhr lief die erste Meldung über die Nachrichtenagenturen, und zwei Stunden später verkündete Parteichefin Angela Merkel die Entscheidung mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte Polenz’ Entlassung schon bei dessen Amtsantritt vor sechs Monaten festgestanden. Vielleicht lag es an diesem für politische Verhältnisse ungewöhnlich hohen Tempo, dass sich gestern in der CDU-Zentrale kein Franz Beckenbauer fand, der dem gefeuerten Generalsekretär gute Besserung wünschen konnte.

Obwohl, warme Worte hörte Ruprecht Polenz zur Genüge, allen voran von seiner Chefin Angela Merkel. Polenz sei ein sehr guter Generalsekretär gewesen, sagte die CDU-Vorsitzende, und die menschliche Zusammenarbeit mit ihm gehöre für sie zu den besten Erfahrungen, die sie in ihrem Leben gemacht habe. Nein, die Entscheidung für Polenz im April sei keine Fehlentscheidung gewesen. Im Gegenteil, so Merkel, „die letzten sechs Monate waren eine gute Zeit für die CDU“. Merkel redete sich in einen regelrechten Lobesrausch. Zwischenzeitlich hatte man den Eindruck, die Parteichefin befinde sich auf der offiziellen Gegenveranstaltung zu ihrer eigenen Pressekonferenz, bei der es ihr vor allem darauf ankam zu begründen, warum sie Polenz nicht entlassen habe.

Ach ja, die Entlassung. Angela Merkel fiel es rechtzeitig dann doch wieder ein, dass sie den Mann neben ihr gerade gefeuert hatte. Aber was heißt schon „gefeuert“ bei einer Frau, die sich noch aus DDR-Zeiten darauf versteht, eine politische Botschaft zwischen den Zeilen verschwinden zu lassen. Merkel hat sich zwar nicht zu der Bemerkung hinreißen lassen, Polenz sei aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten, aber die Begründung für die Entlassung ihres Generalsekretärs konnte mühelos mit der Sprachregelung des SED-Politbüros mithalten: Es sei „eine einvernehmliche Entscheidung im Vorfeld einer möglichen Neubesetzung des Postens“ gewesen. Polenz stand dabei und sah aus, als würden ihm gleich die Tränen kommen.

Das war gestern lange Zeit der verlässlichste Hinweis darauf, dass die Entscheidung zwischen Polenz und Merkel nicht so einvernehmlich getroffen worden sein konnte, wie beide immer wieder beteuerten. Und wenn, dann bestand ihr Einvernehmen höchstens darin, dass die Parteichefin und ihr Generalsekretär dieser Entscheidung eigentlich lieber ausgewichen wären. Schließlich war Polenz von Merkel selbst geholt worden, als diese im Frühjahr die Führung der CDU übernahm. Und war der unbekannte Abgeordnete aus Westfalen nicht so etwas wie Merkels Idealbesetzung? Einer, der auf dem Höhepunkt der Spendenaffäre so etwas wie eine neue CDU zu verkörpern versprach? Als ruhig, kompetent und basisnah galt Polenz. Die Hinweise, ihm mangele es für diese Position an Bissigkeit, er sei mehr Sekretär als General, nahm Merkel nicht als Handicap wahr, sondern als Bestätigung dafür, dass Polenz genau der Richtige an ihrer Seite sei.

Davon dürfte die Parteichefin in den letzten Wochen nicht mehr so überzeugt gewesen sein. Eine Moderatorin an der Spitze der größten Oppositionspartei, ein kühler Fachpolitiker als Chef der größten Oppositionsfraktion im Bundestag, ein ruhiger, freundlicher Liberaler als Generalsekretär, an der Spitze der Abteilung Attacke also – das konnte auf Dauer nicht gut gehen gegen eine Regierung, die überall dort, wo die CDU hinwill, schon sitzt. Und das konnte schon gar nicht gut gehen gegen die CSU und deren Chef Edmund Stoiber, der der verunsicherten CDU-Spitze nicht nur beibringen will, wie man Themen besetzt und aggressiv gegen Rot-Grün kämpft, sondern der sich auch schon als nächster Kanzlerkandidat der Union ins Spiel bringen lässt.

Angela Merkel wird erkannt haben, dass sie reagieren muss, damit die Union politisch wieder in die Offensive kommt. CDU und CSU lagen in den Umfragen der letzten Monate nur ein einziges Mal vor der SPD – als sie bei der Kampagne gegen die Ökosteuer auf eine eher hemdsärmelige Politik setzte und offen mit der Stimmung der Bevölkerung spielte. Merkel musste außerdem reagieren, um nicht weiter Zweifel an ihrer Führungsfähigkeit aufkommen zu lassen. Wie schnell und lautlos sie den alten Generalsekretär aus dem Weg räumte und mit Laurenz Meyer einen neuen präsentierte – selbst die meisten CDU-Präsidiumsmitglieder sind gestern von Merkels Entscheidung überrascht worden – zeigt, was die Parteichefin meint, wenn sie sagt, man solle doch bitte ihre Freundlichkeit nicht mit ihrem Machtwillen verwechseln.

Dass Ruprecht Polenz die falsche Wahl war, stellte er gestern noch einmal unter Beweis. Während Angela Merkel zeigte, was sie als Parteichefin schon alles gelernt hat und vielsagend jede Auskunft über den Grund für den Wechsel in der CDU-Spitze verweigerte, hielt Polenz die Parteidisziplin nicht bis zum Ende durch. Er verriet dann doch noch das große Geheimnis, dass er lieber Brücken baue und keine Speerspitze sei. Die Union müsse aber vielleicht ihre Positionen zuspitzen, sagte Polenz, damit sie die Bundestagswahlen 2002 gewinnen könne. Es klang, als habe Christoph Daum gerade zugegeben, doch Koks genommen zu haben.