: Streit um einen Unsichtbaren
■ Nach dem Abtauchen des Kurden Hasan S. beschuldigen sich Friedensgemeinde und Menschenrechtsverein gegenseitig
Hasan S. ist weg. Abgetaucht, seit Tagen schon. Der kurdische Schüler aus Delmenhorst, der seit vier Wochen im Kirchenasyl der Bremer Friedensgemeinde lebte (die taz berichtete), ist verschwunden, nachdem er erfahren hatte, dass sein Asylfolgeantrag ohne Aussicht auf Erfolg ist. Nun schieben seine Unterstützer – die Bremer Friedensgemeinde einerseits und das Delmenhorster Medienbüro für Menschenrechte (mfm) andererseits – sich gegenseitig Verantwortung und Schuld zu.
Hasan, so der Tenor aus Bremen, sei einer Kampagne geopfert worden. Pastor Bernd Klingbeil-Jahr von der Friedensgemeinde sowie Anwalt Detlef Driever hatten mit der Delmenhorster Ausländerbehörde verhandelt und erreicht, dass Hasan hätte ausreisen dürfen. Die Ausreise in die Türkei hätte laut Klingbeil-Jahr so geschützt wie möglich ablaufen sollen. Mit Begleitung auf dem Flug, mit Empfang durch das deutsche Konsulat, mit Aufnahme in einer Gemeinschaft fernab von seinem Heimatdorf in Ostanatolien, mit einem ersten Job. Alles, um Hasan, der den Kriegsdienst verweigert hat, vor dem Zugriff der türkischen Behörden zu schützen. Dennoch – dass der junge Mann, der 1994 nach Deutschland gekommen war und seither bei einem Onkel in Delmenhorst lebte, dort unbehelligt hätte leben können, ist ungewiss. Andererseits hätte er so die Möglichkeit zu einer – besuchsweisen – Rücckehr nach Deutschland gehabt, was im Fall einer Abschiebung nicht mehr möglich ist. Das, betonen Pastor und Anwalt, sei das Optimum gewesen, was mit den Delmenhorster Behörden herauszuhandeln möglich war. Das sei ihnen von zahlreichen Experten, auch der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung Marieluise Beck, bestätigt worden. Und, betont Pastor Klingbeil-Jahr, man habe keinen Augenblick ohne Hasans Wissen und Einverständnis gehandelt. Hasan habe die Verhandlungen bestimmt, „ich war nur der Emissär mit der weißen Fahne“, so Klingbeil-Jahr. Hasan habe sich schließlich für die Ausreise entschieden, sich damit auch in seiner Familie durchgesetzt. Auch das Medienbüro sei auf dem laufenden gewesen. Nur einer nicht: mfm-Vorsitzender Peter Vogel. Denn der war in Griechenland. Kaum sei der wieder da, sei Hasan weg, so Klingbeil-Jahr. Er wirft Vogel vor, auf Biegen und Brechen eine Kampagne durchzuziehen – ohne Rücksicht auf Hasan.
Peter Vogel kontert, der „Deal“ der Ausreise sei ohne Beteiligung Hasans und seiner Familie zustande gekommen. „Die Leute, die da entschieden haben, haben keine Ahnung von der Türkei.“ Niemals wäre Hasan unbeschadet an der Passkontrolle vorbeigekommen. Als er, Vogel, aus Griechenland zurückgekehrt sei, habe Hasan bereits die Friedensgemeinde verlassen. „Mir ist klar, dass jetzt ein Schuldiger gebraucht wird, aber ich bin es nicht.“ Ja, das Medienbüro sei über die Verhandlungen informiert gewesen. Es habe intern „unterschiedliche Auffassungen über die Gefährdungssituation von Hasan in der Türkei“ gegeben. Schließlich habe man die Verhandlungen für nicht mehr tragbar gehalten. Die Angehörigen Hasans teilten diese Einschätzung.
Ausreise, Abschiebung, Illegalität – Hasan S., 18 Jahre, 10. Klasse, Hobby Computerspiele, Berufswunsch Automechaniker, hat gewählt. sgi
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