piwik no script img

Verlorene Generation der Habilitanden

Sie sind Ende Dreißig und absolvieren derzeit die Ochsentour des Habilschreibens. Nun drohen sie unter den Tisch zu fallen: Juniorprofessoren ziehen vorbei, und für andere Arbeitgeber als die Uni kommen Habilitierte nicht in Betracht

Viele glaubten, sie hätten ihre Karriere an der Uni schon in der Tasche. In fünf bis zehn Jahren, so erklärten Mitte der Neunziger beinahe alle Hochschulexperten, werde eine Pensionierungswelle über Deutschlands Fakultäten hinwegrollen. Beste Aussichten wurden damals für Nachwuchswissenschaftler annonciert, die sich termingerecht für die höchsten akademischen Weihen qualifizieren würden.

Pech gehabt. Viele der frei werdenden Professorenstellen fielen flugs dem Rotstift der Finanzminister zum Opfer. Obendrein waren in Erwartung des „Professorenlochs“ so viele Förderprogramme für den Nachwuchs aufgelegt worden, dass die Zahl der qualifizierten Bewerber stark stieg. In der Geschichtswissenschaft zum Beispiel habe sich die Zahl der Forscher, die sich per Habilitation für den Beruf des Hochschullehrers qualifizieren, in den vergangenen zwei Jahrzehnten fast verdoppelt, rechnet der Münchner Historiker Wolfram Siemann vor.

Für diese Wissenschaftler, die gerade die entbehrungsreichste Zeit einer akademischen Karriere hinter sich gebracht haben, kommt die Reform der Uni-Laufbahn des Professors zu spät. Für die Generation der Enddreißiger, die gerade über ihrer Habilitationsschrift brüten, ist der neue Juniorprofessor keine Chance, sondern eine Bedrohung: Wird das Bulmahn-Modell Wirklichkeit, dann könnte der Nachwuchs bald auf der Überholspur an den Dinosauriern der universitären Old Economy vorbeiziehen. Verkürzt sich die Uni-Laufbahn um ein knappes Jahrzehnt, dann fällt auch die entsprechende Altersgruppe ganz einfach unter den Tisch.

Das Dilemma dämmert den Betroffenen allmählich, und die Panik ist entsprechend groß. Bei den Historikern hat der Nachwuchs schon eine Initiative ins Leben gerufen, um den Blick auf seine Nöte zu lenken. „Dass das Alter auf einmal wichtig wird“, ist für den Kreis um den Marburger Privatdozenten Ulrich Sieg und die Gießener Habilitandin Annette Nagel schlicht „eine Marginalisierungsstrategie, die an unseren Interessen vorbeigeht.“ Eine ganze Generation von Wissenschaftlern steht buchstäblich vor dem Nichts. Außerhalb der Universität gelten sie als maßlos überqualifiziert. „Für andere Arbeitgeber kommen Habilitierte gar nicht in Betracht“, stellt Nagel nüchtern fest.

Was tun? Die ratlosen Privatdozenten ließen am liebsten alles beim Alten. Ihr Rezept beschränkt sich vorerst auf die Forderung nach „mehr Stellen“. Doch kaum ein verantwortlicher Politiker wird dieser einen Altersgruppe zuliebe auf die überfällige Reform verzichten. Helfen kann nur ein Programm, das für diese verlorene Generation maßgeschneidert ist. So schlägt die Braunschweiger Historikerin Ute Daniel eine „Neuauflage des Fiebiger-Plans“ aus den späten Achtzigern vor: Damals war es übrigens die Durststrecke bis zur erwarteten Pensionierungswelle, die mit neu geschaffenen Professorenstellen überbrückt werden sollte. RALPH BOLLMANN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen