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Gerechtigkeitsliebe

Keine pittoreske Elendskulisse, sondern kompromissloses TV-Drama: „Die Polizistin“ (Mi., 20.15 Uhr, ARD) verstößt gegen jede Süßstoff-Strategie

von CHRISTIAN BUSS

Romantik gibt es überall, manchmal sogar in einer Plattenbausiedlung am Stadtrand Rostocks. Hier schiebt Anne, die gerade die Polizeischule hinter sich gebracht hat, auf einer kleinen Wache Dienst.

Die Momente des Glücks sind rar, aber immerhin gibt es sie. Zum Beispiel wenn Kollege Mike ihr nach der Leibesvisitation einer Obdachlosen die Hände mit Desinfektionsmittel einreibt, um ihr sanft zuzuraunen, sie müsse sich eine dickere Haut anschaffen. Später, als die beiden am Krankenbett eines geretteten Selbstmörders Wache schieben, lädt Mike sie sogar in den neuen Schwarzenegger-Film ein. Und nach einem Frustbesäufnis landen die beiden schließlich zusammen in der Kiste, aber da hat sich Anne schon längst in jemand anderen verliebt.

In jenen russischen Kleindealer nämlich, den sie nach einem Einbruch in der Kaufhalle dingfest gemacht hat. Zugegeben, die Idee, dass die Beamtin sich ausgerechnet in den Gelegenheitsdieb verguckt, den sie zuvor eingelocht hat, ist einigermaßen gewagt. Doch die narrativen Wendemanöver, mit denen Regisseur Andreas Dresen in „Die Polizistin“ die Figuren zueinanderführt, sind notwendig. Denn so endet das Copdrama aus der Plattenbauhölle nicht als Sightseeing-Tour durchs Ghetto. Schließlich könnte das Panoptikum aus prügelnden Ehemännern und besoffenen Hausfrauen, das Dresen mit semidokumentarischen Bildern einfängt, zum Voyeurismus einladen. Doch bei ihm fungieren die Sozialhilfeempfänger und anderen Wiedervereinigungsverlierer keineswegs als Statisten vor pittoresker Elendskulisse. Indem er seine traurige Heldin mit ihnen auf Tuchfühlung gehen lässt, gewinnen auch sie an tragischer Größe. Außerdem verleiht Dresen den gemeinhin Sprachlosen eine Stimme. Etwa dem kleinen Jungen, der über seine alkoholabhängige Mutter sagt, sie sei „krank an der Seele“. Oder dem Gelegenheitsdieb aus der ehemaligen Sowjetunion, der die Polizistin bei der zweiten Begegnung genervt darauf hinweist, dass er nicht zur Russenmafia gehöre – vielmehr halte er sich in Deutschland mit dem Verschieben gebrauchter Waschmaschinen nach Russland über Wasser, um in der Nähe seines kleinen Sohnes zu sein. Was seine gelegentlichen Straftaten nicht besser, aber verständlicher macht. Allzu gefühlsduselig ist der Mann trotzdem nicht: Nachdem er Anne stürmisch auf einer eben gelieferten Waschmaschine geliebt hat, überfällt er eine Tankstelle.

Eine Milieustudie wie „Die Polizistin“ hat Seltenheitswert im deutschen Fernsehen. Am ehesten erinnert der Film an die Sozialdramen von Uwe Friessner, der in den Siebzigern und Achtzigern mit „Am Ende des Regenbogens“ oder „Der Drücker“ ungeschönte Verliererporträts vorgelegt hat. Umso erstaunlicher, dass „Die Polizistin“ gerade jetzt zur besten Sendezeit im Ersten läuft.

Prestige-Hoffnung

Immerhin sorgte vor wenigen Monaten ein Papier für Aufregung, mit dem die Intendanten der ARD ihr Primetime-Angebot der privaten Konkurrenz angleichen wollten. Glaubt man dem von der Süddeutschen Zeitung unter dem Schlagwort „Süßstoff-Offensive“ lancierten Schriftstück, soll mit Fernsehspielen zur Primetime jetzt ein Marktanteil von 20 bis 25 Prozent erreicht werden. Für eine sperrige Produktion wie „Die Polizistin“, die über weite Strecken mit der Handkamera gedreht wurde, ist das unmöglich. Trotzdem sollte niemand darauf hoffen, die Programmgewaltigen nähmen ihre eigenen Beschlüsse nicht ernst. Der demnächst folgende massive Einsatz von neu produzierten Heimat-Schmonzetten an Freitagen etwa zeigt, dass man nicht eben schamhaft ist, um das Quotenziel zu erreichen. Dass „Die Polizistin“ zur Hauptsendezeit läuft, ist also wohl weniger einer Abkehr vom Papier zuzuschreiben als der Hoffnung auf Prestigegewinn.

Schließlich engagierte man mit Andreas Dresen einen preisgekrönten Regisseur. Sein Berliner Sittengemälde „Nachtgestalten“ war letztes Jahr immerhin in fast allen Katogerien für den Bundesfilmpreis nominiert und erhielt die Auszeichnung in Silber, am Wochenende erst folgte der Prix Europa.

In seinem kompromisslosen TV-Drama, das dürfte die verantwortlichen ARD-Redakteure ermutigt haben, greift Dresen jetzt noch einmal einige Motive aus dem erfolgreichen Kinofilm auf. Axel Prahl etwa, der in „Die Polizistin“ den Phlegma-Bullen Mike spielt, war in einer ähnlichen Rolle bei „Nachtgestalten“ nur ganz kurz zu sehen. Hier darf er sich jetzt einen ganzen Film lang freundlich den Frust von der Seele nölen. Grandios auch die Theaterschauspielerin Gabriela Maria Schmeide, die als liebeshungrige und gerechtigkeitsliebende Streifenpolizistin Anne immer ein bisschen der Wirklichkeit hinterherhinkt.

Am Ende immerhin schnappt sich Anne den kleinen traurigen Jungen, um mit ihm an die See zu fahren. Und da erklingt zum ersten Mal nach 90 Minuten so was wie Musik aus dem Off: Meeresrauschen.

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