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Schnieke, schleimig

Cem Özdemir erzählt einen Witz, Jürgen Trittin geht verloren, und Ellen Kobe richtet ein Schneckenrennen aus: Der Naturschutzbund lud „Visionäre und Querdenker“ ein

Zuerst wirkt es wie eine Single-Party. Überall neugierig guckende Menschen, recht schnieke gekleidet, und viele scheinen sich nicht zu kennen. Aber nachdem man den Begrüßungscocktail heruntergestürzt hat und in den fünf leer geräumten Büroräumen voller Abendanzüge herumgeschlendert ist, nimmt es Kontur an: Ja, so könnte ein „Salon“ durchaus gemeint sein.

Der NABUSalon, halbjährlich veranstaltet vom Naturschutzbund Deutschland, versucht, „Visionären und Querdenkern einen sicheren Platz“ zu bieten, damit „berühmte Persönlichkeiten Gespräche über Kunst, Wissenschaft und Politik“ führen können. Dann wünscht sich der Nabu, so steht es in der Einladung, auch noch „Luftschlösser, revolutionäre Gedanken, Alternativen und Visonen“. Wolln mal sehen.

Während ein Trio „Honeysuckle Rose“ jazzt, reden zwei Frauen in der Ecke über Pestizide. Jürgen Trittin, Cem Özdemir und Herta Däubler-Gmelin mischen sich unter die Gäste, und Jochen Flasbarth, der Nabu-Präsident, eröffnet die Veranstaltung. Dazu baut die Berliner Künstlerin Ellen Kobe, deren Ausstellungseröffnung heute ebenfalls in den Nabu-Räumen im fünften Stock des alten, eleganten Hauses in Mitte stattfindet, ihre Installation „Schneckenwettlauf“ auf: Sechs Hain- und Gartenschnirkelschnecken treten gegeneinander an. Sie wärmen sich noch im Glasterrarium auf, und alle machen Witze wie „Und wenn sie verlieren, müssen sie in den Salat!“

Kobe stellt Objekte zum Thema Natur aus. Aus einem Monitor wächst Gras, das „Kleine Rasenstück“ ist eine Postkarte, in der Grassamen vom Empfänger der Karte gegossen werden können. Mit feinem Stift hat Kobe Löwenzahn, Y-Chromosom, Radieschen, Igel und Kirsche gezeichnet – heraus kommt das Wort „Lyrik“.

Dann setzen die Salongäste je eine Mark auf ihre Lieblingsschnirkelschnecke, und die Schleimer, die durch 50 Zentimer lange Plastikrohre müssen, kriechen los. Nach einer Minute führt die Schnecke auf Bahn 3 so eindeutig, dass Dopingverdacht geäußert wird. Die Rennschnecke schleimt außerdem kopfüber an der Oberseite der Röhre, und als sie mit einer guten Zeit (knapp über drei Minuten) gewinnt, werden Disqualifikationswünsche laut.

Aber das Buffet (Suppe, Klöße, Fleisch, Käseteller) wird eröffnet und die Querdenker drängeln sich an rote Stehtischchen, um sich endlich zu sozialisieren. Trittin und Däubler-Gmelin gehen schnell verschütt, doch Cem Özdemir trinkt Wein und erzählt mit großer Vorankündigung einen Witz,über den er sich „neulich weggeschmissen hat“, was umso lustiger ist, weil der Witz (irgendetwas mit einem jungen Hochzeitspärchen beim Doktor) gar nicht so richtig witzig ist, wie das oft passiert mit Witzen, die man vorher groß ankündigt.

Die deutschtürkische Rapperin und Multikulti-Moderatorin Aziza A. redet von ihren Plänen, ihre nächste Platte in der Türkei aufzunehmen, vom Touren durch den deutschen Hinterwald und von ihrer Leidenschaft für Stiefel. Ein Rechtsanwalt versucht, die taz durch taz-Aktien-Emission aus der Abofalle zu retten, und der Herausgeber der Perșembe möchte mitmachen. Das mit den „Luftschlössern, revolutionären Gedanken und Visionen“ war schließlich ausdrücklich erwünscht. Özdemir und Aziza A. unterhalten sich übers Moderieren (Cem: „eine Musiksendung im Fernsehen vielleicht“, Aziza: „... und dann lädst du mich ein!“), neuer Testwein („ist kein Burgunder, schmeckt aber so!“) macht die Runde, auf den Nabu-Schreibtischen hinterlassen Gläser Ringe, und wenn man noch etwas bleiben würde, hätte die hübsche Veranstaltung irgendwann bestimmt doch etwas von einer Single-Party. JENNI ZYLKA

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