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Echte Fusion statt Konfusion

Ver.di soll als größte Gewerkschaft der Welt machtvoll die Interessen ihrer Mitglieder vertreten. Damit dieses Konzept aufgeht, muss es wesentlich verbessert werden

Für manche droht mit der Reform zu vielManagementphilosophie und so ein Verrat an der Arbeiterklasse

Angesichts der grassierenden Fusionswelle der Konzerne können die deutschen Gewerkschaften natürlich nicht hinten anstehen. Mit Ver.di versuchen die ÖTV, DAG, IG Medien, Post und HBV eine Großfusion im Arbeitnehmerlager. Ähnlich wie bei den Unternehmen lauten auch hier die Begründungsmuster: Reaktion auf den ökonomischen Wandel, Synergieeffekte, Global Player statt Local Payer usw. Die schiere Größe verspricht den Erfolg, ist man doch auf dem Wege, zur mächtigsten Einzelgewerkschaft der Welt zu transformieren. Doch das gerade ist zweifelhaft, und die Widerstände gegen das Projekt mehren sich inzwischen – freilich aus sehr gemischten Motiven heraus.

Fest steht, dass den Gewerkschaften im Dienstleistungsbereich – und eben den soll Ver.di organisieren – ein erheblicher Mobilisierungs- und Modernisierungsschub nicht schaden würde. Die Mitgliederentwicklung ist seit einigen Jahren rückläufig, vor allem wenn man zum einen die strategisch wichtigen Zielgruppen wie Jugendliche oder Hochqualifizierte betrachtet und zum anderen die Rentner und Pensionäre abzieht. Denn was zählt, ist nicht die schiere Kopfzahl, sondern die reale Kampfkraft. Da hilft es ebenfalls nicht sehr viel, wenn man auf die – an sich durchaus richtigen – Verzerrungseffekte im Rahmen der deutschen Einheit hinweist, in deren Folge erst enorme Zuwächse an Mitgliedern eintraten, von denen allerdings viele inzwischen wieder ausgetreten sind. Die Attraktivität der deutschen Gewerkschaften ist eben nicht überragend.

Die Frage ist nun, ob Ver.di hierzu eine Erfolg versprechende Problemlösung darstellt – oder ob es wieder einmal ein „erfolgreiches Scheitern“ wird. Ob mit viel Aufwand und Public Relations kosmetische Reformen beschlossen, aber die Strukturen kaum verändert werden. Bei der ÖTV hat sich dieser Effekt bei der Organisationsreform in den Achtzigerjahren gezeigt. Damals ging es um die Bewältigung von massiven Haushaltsdefiziten, effektivere Strukturen sowie verbesserte interne Willensbildungsprozesse. Nachdem die Finanzkrise nach der deutschen Einheit abgewendet werden konnte, ist die weitere Umstrukturierung weit gehend versandet. Diese Gefahr liegt in der Natur politischer Großorganisationen wie Gewerkschaften und Parteien. Sie entziehen sich nämlich der klaren Rationalität und Handlungslogik von Betrieben und Behörden; weder monetäre Anreize und Gewinne noch hierarchische Anordnung und formale Rechtmäßigkeit funktionieren angesichts der alles umfassenden Politisierung dieser Art von Organisationen.

Dies ist zugleich ein wesentliches Moment, das der Kritik an der Fusion der fünf Gewerkschaften zu Grunde liegt und das wahrscheinlich auch den Ausstieg der GEW aus diesem Prozess erklären könnte. Konzentriert man sich auf die organisationsstrukturellen Aspekte und nicht auf einzelne Personen – obwohl es in den beteiligten Gewerkschaften durchaus „menschelt“ –, so erweisen sich die Reformwiderstände als Mischung verschiedener Elemente.

Da ist zum einen die ideologische Spannung zwischen Linken und Rechten oder – als nicht immer identische Variante – zwischen Modernisierern und Traditionalisten. Manch einem steckt hinter den Reformprozessen zu viel Management- und Unternehmensphilosophie und damit schon fast ein Verrat an der Sache der Arbeiterklasse.

Zum anderen stehen sich die Zentrale und die Landesfürsten gegenüber. Besonders die ÖTV hat hier eine Ansammlung an Macht und Ressourcen aufzuweisen, was so bei anderen Gewerkschaften kaum anzutreffen ist. Nur ein Beispiel: Die Zahl der hauptamtlich Beschäftigten bei den ÖTV-Bezirken liegt etwa bei dem Dreifachen der IG Metall. Dieser „Speckbauch“ tendiert zu einer organisatorischen Trägheit und ist nicht selten jedweder Reform abhold. Ihnen droht ein Bedeutungsverlust in der neuen Großgewerkschaft. Insofern verwundert es nicht, dass von hier der stärkste Widerstand kommt – teilweise gepaart mit der oben genannten Resistenz der alten Linken in der Organisation. Aber auch die Kreisebene strebt nach Wahrung ihrer Autonomie – zumal sie der unmittelbare Frust und der Eigensinn der einfachen Mitglieder treffen.

Aber auch politisch-kulturell ist das Terrain schwierig und umkämpft. Lange haben die DGB-Organisationen die DAG als Gegner definiert – als „gelbe“ (arbeitgeberfreundliche) Gewerkschaften, und nun soll fusioniert werden. So einfach lässt sich vor allem bei den aktiven Mitgliedern der Kurs nicht wechseln. Bei den Professionellen hingegen zeigt sich meist eine bemerkenswerte Tendenz zur Kooperation und Sachlichkeit, die für die Fusion positive Wirkung erwarten lässt.

Hinzu kommt jedoch, dass die beteiligten Gewerkschaften vielfach unterschiedlichen Organisationsprinzipien und Traditionen folgen: Beruflichkeit versus Region, abweichende Entscheidungsprozesse, andere Kulturen. Die Tücke liegt hier im Detail und nicht selten zwischen den Zeilen der Statuten. Was bedeutet etwa, dass der Hauptvorstand einer Entscheidung zustimmen muss? Materielle Prüfung oder routinemäßiges Absegnen?

Die schiere Größeallein soll den Erfolg von Ver.di garantieren, aber gerade das scheint zweifelhaft

Diese Komplexität lässt sich nicht einfach zusammenführen und in Wohlgefallen auflösen. Und vor allem wird es schwierig, wenn das Ziel nicht so klar erscheint: Was soll denn die Identität der neuen Gewerkschaft sein – eine Frage, die implizit hinter mehreren der umstrittenen Punkte steckt. Ist es Staat bzw. öffentlicher Dienst, der Orientierung schafft und gesellschaftliche Funktion zuweist? Wohl nicht mehr, aber was dann? Dienstleistungen sind ein vielschichtiger Begriff, der gerade im Zusammenhang mit Gewerkschaften bislang eher zweifelhafte organisationskulturelle Assoziationen hervorgerufen hat. Schließlich wollte man nie zum ADAC der Arbeitswelt werden. Zurzeit meint Dienstleistungen eher ein Sammelsurium an Tätigkeiten und Branchen als ein organisationspolitisches Konzept – zumal das Terrain auch zwischen den DGB-Gewerkschaften nur unklar abgegrenzt ist und ein erhebliches Konfliktpotenzial birgt.

Bleibt damit zu hoffen, dass Fusion nicht als Folge von Konfusion auftritt und Ver.di sich nicht als des Kaisers neue Kleider erweist. Probleme und Widerstände sind angesichts der schwierigen Ausgangslage und des Umfangs der angestrebten Veränderungen im Grunde nicht überraschend und nicht unüberwindbar. Sie lassen sich jedoch durch entsprechend klare strategische Konzepte und ein gutes Prozessmanagement verringern – beides erscheint in erheblichem Maße verbesserungsfähig. Damit bleibt die Frage weiterhin spannend, wohin Ver.di geht; nicht nur in Bezug auf die Frage, wer denn nun am Ende mitmacht – besonders, ob die ÖTV jetzt oder vielleicht später einsteigt oder wer denn den Vorsitz übernimmt. Entscheidend wird sein, ob die neue Großorganisation die Kapazitäten haben wird, die bestehenden Probleme zu lösen, tarifpolitische Erfolge zu erreichen, gesellschaftspolitisch wirksam zu sein und effiziente sowie demokratische Strukturen zu entwickeln. JOSEF SCHMID

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