piwik no script img

Drei Strafbefehle für Zivilcourage

Beschwerde über einen Polizeieinsatz gegen eine russische Straßenmusikantin führt zu Geldstrafe von 900 Mark – nur weil die Zeugen die Frage stellten, ob der Einsatz bei einer Deutschen derselbe gewesen sei. Verfahren jetzt eingestellt

Zivilcourage ist schön und gut. Aber wehe, wenn sich diese gegen die Polizei richtet. Diese Erfahrung mussten drei Anwohner aus Zehlendorf machen. Weil sie sich über einen Polizeieinsatz gegen eine russische Straßenmusikantin beschwert hatten, wurden sie in Strafbefehlen zu jeweils 900 Mark Geldstrafe wegen Beleidigung der Polizei verurteilt. Erst gestern, als der Tagesspiegel über den Fall berichtete, stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren überraschend ein.

Der Vorfall hatte sich am 10. März am Teltower Damm in Zehlendorf ereignet. Nach Angaben von Justizsprecherin Anja Teschner hatte dort eine junge Frau, die Inhaberin eines russischen Passes war, Balalaika gespielt und CDs verkauft. Polizisten hätten die Ausweispapiere und Gewerbeerlaubnis der Frau überprüfen wollen. Aufgrund von Verständigungsproblemen habe sich die Überprüfung in die Länge gezogen. Mehrere Passanten seien stehengeblieben und hätten das Geschehen verfolgt. Wie der Tagesspiegel gestern unter Berufung auf Zeugenaussagen berichtete, sollen die Polizisten bei der Überprüfung ziemlich barsch vorgegangen sein. Die Musikantin sei schließlich in den Dienstwagen gezerrt worden.

Drei der Passanten hatten sich nach dem Vorfall in einem Schreiben an die zuständige Polizeidirektion über das Vorgehen der Beamten beschwert und wörtlich erklärt: Es „hat sich uns leider die Frage aufgedrängt, ob die Behandlung dieser Frau eine andere gewesen wäre, wenn sie über einen deutschen Pass verfügt hätte“.

Der Beschwerdebrief wurde von der Polizei nie beantwortet. Stattdessen stellte einer der beteiligten Polizisten Strafanzeige, weil er sich von dem oben zitierten Satz beleidigt fühlte. Auch die Amtsanwaltschaft erkannte in dem Satz einen „indirekten, ehrverletzenden Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit“ und leitete den Fall an das Amtsgericht weiter. Dem Richter genügten der Satz und die Zeugenaussagen der beteiligten Polizisten, um die Strafbefehle zu erlassen.

Nach Angaben der Justizsprecherin legten dann die drei Zehlendorfer Einspruch gegen die Strafbefehle ein. Nach einer Überprüfung des Falles habe die Staatsanwaltschaft den Tatbestand der Beleidigung jedoch nicht mehr als erfüllt angesehen. Gestern erfolgte die Einstellung des Verfahrens.

Der Vorgang hat bei der Berliner Strafverteidiger-Vereinigung, der Neuen Richtervereinigung und der Polzeiberatungsstelle „pro-police“ große Empörung ausgelöst. „Wenn Kritik an der Obrigkeit zu einer Beleidigung wird, ist der Rechtsstaat am Ende“, sagt der Vorsitzende der Strafverteidiger-Vereinigung, Rüdiger Portius. Der Sprecher der Neuen Richtervereinigung, Peter Weber, spricht von einem „Einschücherungsversuch“ der Behörden. „Und das in einer Zeit, in der sämtliche im Bundestag vertretenen Parteien zur Teilnahme an der Demonstration am 9. November aufrufen, um ein direktes Zeichen für Zivilcourage zu setzen.“

Der Vorsitzende von pro-police, Dietmar Hübner spricht von einer „vertanen Chance“ der Polizei. Statt die empörten Bürger zu einem Gespräch einzuladen, habe die Polizei durch ihr Verhalten zu einer Verfestigung des Feindbildes Polizei beigetragen.

PLUTONIA PLARRE

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen