: Lustig ist das Monadenleben
■ LiteraTour Nord (1): Der Autor und ehemalige Dramaturg in Oldenburg, John von Düffel, liest aus seinem neuen Roman
„Ich versuche zu lächeln. Begreift sie denn nicht, daß es mir helfen würde, wenn ich sie ein kleines bißchen hassen könnte?“
John von Düffel
Bei Leibniz ist die Monade unteilbar und abgeschlossen. Sie ist selbständiges Wesen, „fensterlos“. Nichts geht rein, nichts kann raus. Trotzdem ist Kriterium ihrer Substanz die Wirkung, darum heißen sie auch „Kraftpunkte“. Auch wenn sie nicht genannt wird, ist die Monade eine Grundmetapher von John von Düffels zweitem Roman „Zeit des Verschwindens“, den er am Sonntag bei der Lesereise LiteraTour Nord in Bremen vorstellt.
Die „Zeit des Verschwindens“ ist ein Roman wie eine Versuchsanordnung. Zwei Handlungsstränge, die zusammen nicht kommen. Im Labor des 1966 geborenen Schriftstellers und Dramaturgen in Oldenburg, Basel, Bonn und zurzeit Hamburg treten auf: Zwei Figuren, ein Mann und eine Frau. Das Motiv: Zweimal die Suche nach einem verlorengegangenen Menschen, der einem einmal nah war.
Er versucht sich seinem Sohn (wieder) zu nähern, den er wegen häufiger beruflicher Reisen selten sieht. Sie, Christiane, setzt das intensive und nicht von Konkurrenzen freie Verhältnis zu ihrer Schwester fort. In Gedanken, denn Lena ist seit einem halben Jahr tot. Und dann sind da noch zwei Counterparts: Seine Frau, man hat sich, wie es so schön heißt, auseinandergelebt und ihr Freund Hendrik.
Abwechselnd erhalten wir Einblicke in die Gefühls- oder besser Gedankenwelt der beiden. Innere Monologe, Klopfzeichen aus der Kapsel. Von Düffel erzählt schlicht, inklusive der abrupten Richtungswechsel und Wiederholungen, die zu solchen „Protokollen“ gehören. Mitunter erzeugt die pausenlose Introspektion, das Reflektieren von Handlung und Gedanke Langeweile, was vielleicht daran liegt, dass man, was man selbst so denkt, den ganzen Tag, niemals so klar vor Augen hat. Möchte man vielleicht auch nicht in einem Buch lesen.
Spätestens mit dem Stück „Die Unbekannte mit dem Fön“ (1995), das nur aus Regieanweisungen besteht, widmet sich von Düffel intensiv der nonverbalen Kommunikation. Und der Frage, wie diese ihrerseits kommunizierbar ist. Je leiser und nebensächlicher sich das in „Zeit des Verschwindens“ darstellt, desto eindrucksvoller ist es. „Ich habe allen möglichen Menschen die Hand gegeben, ob ich sie nun mochte oder nicht, was für ein vergeßliches Körperteil.“ Oder das beiläufige Bemerken, wie sich das Zimmer aus der Dunkelheit hebt, wie „eine Fotografie aus dem Entwicklungsbad“.
Von Düffel scheint zeigen zu wollen, dass die sprichwörtlichen „zwischenmenschlichen Beziehungen“ eigentlich nie funktionieren können. Schnell wird klar, dass die Perspektiven, ausgetauscht, auf ein ähnliches Ergebnis, nämlich eine ganz andere Wahrnehmung des oberflächlich Gleichen, hinauslaufen würden. Zwar keine ganz neue Erkenntnis. Aber immerhin nicht unspannend erzählt. Doch bastelt sich der Autor seine eigenen Fallstricke, indem er die monadische Setzung, vielleicht ein wenig zu „zeitgeistig“ ableitet.
Bei ihm etwa ist es die Arbeit, die ihm nicht nur Familienzeit raubt, sondern auch die Fähigkeit, von der normierten Allzeitrede abzusehen; bei ihr ist es die Schwester, die sie der „Welt“ entzieht. So stolpert von Düffel über Widersprüche, die er eben noch seinem männlichen Protagonisten so souverän eingeschrieben hat. Er ist nämlich einerseits der selbsthassende Mann, der genau weiß, was richtig, was falsch, was gut und was schlecht ist und trotzdem oft das Gegenteil tut. Andererseits scheint Moral für diese Figur obsolet zu sein.
Wie gesagt, ganz neu ist das alles nicht. Menschen, denen im Konkurrenzdruck, so oder so, das Gefühl abhanden kommt. Und die dennoch nicht anders können. Zum Thema gibt es bessere Bücher. Aber auch viel viel schlechtere. So ist die „Zeit des Verschwindens“ trotz allem ein vielversprechender Auftakt der diesjährigen „LiteraTour Nord“, jenem Zwitterwesen aus Lesereise und Literaturpreis. Bis Februar touren LiteratInnen durch Norddeutschland. Bevor am Ende ein Preis vergeben wird, verspricht die LiteraTour nicht nur interessante Lesungen, sondern in den anschließenden Fragerunden auch einen Einblick in den Literaturbetrieb. Tim Schomacker
Lesungen am Sonntag, 29. Oktober, um 11 Uhr im Kulturzentrum PFL, Peterstraße 3, in Oldenburg und um 20 Uhr im Ambiente, Osterdeich 69a, in Bremen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen