: Unterdrückung per Vertrag
Die Bedingungen des Friedenprozesses im Nahen Osten haben Israel und die USA diktiert. Das können die Palästinenser nicht akzeptieren und wehren sich mit Gewalt
Bundeskanzler Gerhard Schröder bricht heute zu einem Staatsbesuch in die Nahostregion auf, die seit Wochen wieder in Flammen steht. Der Kanzler muss lavieren zwischen dem traditionell guten Verhältnis zu den arabischen Staaten und dem „besonderen“ zu Israel. Dessen Premier Barak hat Schröder angetragen, auf die Palästinenser mäßigend einzuwirken. Sollte er aber nicht mindestens ebenso mäßigend auf Israel einwirken, das hochgerüstet auf wehrlose palästinensische Kinder und Jugendliche schießt? Die jüngste Bundestagsdebatte zum Nahostkonflikt hat wieder einmal offenbart, dass die deutsche Politikerklasse nicht willens ist, den Schritt von „besonderen“ zu „normalen“ Beziehungen zu Israel zu tun. Es werde keine deutsche Nahostpolitik geben, so die Botschaft. Auch als „Transporteur von Forderungen“ halte man sich für ungeeignet. Warum aber dann diese Reise zu diesem Zeitpunkt?
Der „Friedensprozess“ im Nahen Osten ist endgültig tot, zu Grabe getragen im Steinhagel von palästinensischen Demonstranten und massiven Raketenbeschuss von israelischen Soldaten. Die Totengräber sind aber nicht die vermeintlichen „Friedensfeinde“, die US-Präsident Bill Clinton gerne ausmacht, sondern die beiden uneinsichtigen Hauptakteure: Israel und sein Mentor, die USA. Arafat war von Beginn an immer nur die Rolle des gehorsamen Statisten zugedacht. Der „Friedensprozess“ war vor allem eins: die Fortsetzung der Unterdrückung und Okkupation auf vertraglicher Ebene, mit Zustimmung der USA und finanzieller Flankierung durch die EU.
Der „Friedensprozess“ löste bei den Palästinensern anfänglich große Hoffnungen und hohe Erwartungen aus. Die Euphorie war überall sichtbar. Nachdem die Freude über das straffreie Zeigen der Palästinenserfahne verflogen war, bemerkten die Palästinenser schnell, dass sich vor Ort nur kosmetisch etwas veränderte. Arafat zog zwar mit seiner Gefolgschaft im Gaza-Streifen ein, doch schnell wurde ihm klar, dass er in einem Gefängnis saß, zu dem nur Israel den Schlüssel besitzt. Er übernahm ein umzäuntes Fleckchen Land, das einem völlig überbevölkerten Slum gleicht – ein Land, in dem es israelische Siedler gibt und das von israelischem Militär nur so wimmelt. Um dieses Gefängnis verlassen zu können, brauchen selbst der „Präsident Palästinas“ und seine VIPs die Genehmigung Israels. Seinen Untertanen ist es so gut wie unmöglich, Ostjerusalem auch nur zu besuchen. Sie füllen die Anträge bei palästinensischen Beamten aus, die sie wiederum an die Israelis zur Genehmigung weiterreichen. Ehud Barak, Generalstabschef unter Ministerpräsident Rabin, erklärte, dass sich durch die Verträge grundsätzlich nichts ändern werde. Auch die „Friedenspolitiker“ Rabin und Peres machten immer deutlich, dass es einen souveränen Palästinenserstaat nicht geben werde, Jerusalem die „ewige Hauptstadt Israels“ bleibe und die Siedlungen nicht aufgelöst würden. Auch bekämen die Flüchtlinge kein Rückkehrrecht und die Kontrolle über das Wasser, und die Außengrenzen blieben natürlich in israelischer Hand. Über diese Essentials sind sich die maßgeblichen Politiker in Israel einig.
Der Friedensprozess führte auch nicht zur Einstellung des Siedlungsbaus und der illegalen Landenteignungen. Im Gegenteil: In der Regierungszeit von Rabin und Peres wurde die Zahl der Siedler massiv erhöht, bis heute hat sie sich verdoppelt. Es wurde ein separates Straßensystem gebaut, das alle Siedlungen miteinander verbindet. Rabin enteignete in seiner Regierungszeit mehr Land für diese Zwecke, als er Arafat zur Kontrolle übergab. Die Aufteilung des Westjordanlands in drei Zonen wurde von Rabin und Peres ersonnen. Seither spricht man von einem „Bantustan“` oder einem „Inselreich“, in dem die Palästinenser ihr Dasein fristen müssen und in dem Arafat sie in Schach zu halten hat. Arafats Rolle war immer die eines Sicherheitschefs von Israels und der USA Gnaden. Er musste mit dem israelischen und dem amerikanischen Geheimdienst kooperieren und auf deren Geheiß Hamas-Aktivisten zu Hunderten ins Gefängnis werfen. Ein palästinensisches Staatssicherheitsgericht wurde geschaffen, das jedem Rechtsverständnis Hohn spricht. Der amerikanische Vizepräsident und jetzige Präsidentschaftskandidat Al Gore lobte die Einrichtung dieses Gericht als eine „vertrauensbildende Maßnahme“, um die „Feinde des Friedens zu besiegen“. Als es im Frühjahr 1996 zu den verheerenden Bombenattentaten in Jerusalem und Tel Aviv kam, hatte Arafat keine andere Wahl, als den Anweisungen der USA und Israels widerspruchslos zu folgen. Dies trug ihm vonseiten vieler Palästinenser den Vorwurf der „Kollaboration“ ein.
Auch die Zerstörung palästinensischer Häuser durch Israel nahm nicht ab. Die Besatzungsmacht erteilt so gut wie keine Baugenehmigung an Palästinenser, sodass diese gezwungen sind, ohne Genehmigung zu bauen. Nachdem das Haus errichtet ist, erhält der Eigentümer eine Mitteilung der zuständigen Militärverwaltung, dass er in weniger als zwei Stunden sein Haus zu verlassen habe. Unter Polizeischutz reißen dann Bulldozer das Haus ein. Ebenso wurde insbesondere unter der Regierung Netanjahu versucht, Palästinensern das Aufenthaltsrecht in Ostjerusalem zu entziehen. Tausende verloren Arbeit, und Familien wurden getrennt, weil Betroffene nicht nachweisen konnten, in den letzten fünf Jahren permanent in der Stadt gelebt zu haben. Diese „stille Deportation“ wurde unter der Barak-Regierung zurückgefahren. Die alltäglichen Schikanen und Demütigungen sowie die wirtschaftliche und politische Strangulierung gab es im „Friedensprozess“ aber unter jeder israelischen Regierung. All dies zermürbte die Palästinenser und raubte ihnen jede Hoffnung auf einen Ausgleich mit Israel. Hinzu kam, dass Arafat ein korruptes und autoritäres Regime errichtete, das auf die Menschenrechte der eigenen Landsleute wenig Rücksicht nimmt.
Nachdem Arafat gegenüber Israel immer wieder Zugeständnisse machte, neue Interimsverträge unterschrieb, aber praktisch keine Gegenleistungen erhielt, kam im Juli in Camp David für ihn die Stunde der Wahrheit. Von weit reichenden Kompromissen seitens Israel ist seither die Rede. De facto hätte Arafat Folgendes akzeptieren müssen: eine „Hauptstadt“ Jerusalem, zusammengesetzt aus einigen Dörfern am Stadtrand; Fortbestand aller Siedlungen, kein Rückkehrrecht für die Flüchtlinge, keine Kontrolle über das Wasser, keine Kontrolle über die Außengrenzen und Fortexistenz israelischer Militärstützpunkte in seinem „Staat“. Arafats Unterschrift unter dieses „palästinensische Versailles“ hätte ihn von der politischen Bühne hinweggefegt. Soll ein solcher „Friedensprozess“ wirklich alternativlos sein?
LUDWIG WATZAL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen