: Ende des Klassenkampfes: Platz für alle
Die 1. Klasse der S-Bahn wird am kommenden Mittwoch abgeschafft. Wer sie bisher nutzte, bangt um seinen sonst stets sicheren Sitzplatz ■ Von Kathrin Dietzel
„Ach, bin ich hier in der 1. Klasse?“ wundert sich eine junge Frau. „Ich habe das nie ernst genommen - komisch, daß es so etwas immer noch gibt.“ Der Unterschied fällt ja auch nicht sofort ins Auge. Erst auf den zweiten Blick: Hutablagen und schmale Armlehnen an den Sitzen. Und meistens sitzen die Leute - auch zu Stoßzeiten. Wozu diese Einteilung noch da ist, fragte sich vielleicht so mancher – nun ist es bald vorbei damit. Am Mittwoch werden die 1. Klasse-Waggons der S-Bahn abgeschafft. Dann müssen sich auch die bisherigen Mehrzahler ins Getümmel stürzen und während der Hauptverkehrszeiten um einen Sitzplatz bangen.
Viele ältere Menschen haben vor allem aus Platzgründen in der Vergangenheit mehr gezahlt. „Heutzutage ist es ja nicht mehr selbstverständlich, dass die jungen Leute aufstehen“, beschwert sich Irmgard Hoppe. Die 79-jährige fährt zum günstigen Rentnertarif und fühlt sich vom HVV überrumpelt. „Ich bin nicht mehr so gut auf den Beinen. Aber sich beschweren? Das nützt doch nichts.“ Auch Antje Harms aus Wilhelmsburg findet die Änderung „gar nicht gut“. „Die 1. Klasse hat einfach mehr Flair, und man wird nicht von irgendwelchen Subjekten belagert, so wie in der 2. Klasse.“
Katrin Fech, Pressesprecherin des HVV, weiß um die „Empfindlichkeit“ der Hamburger auf diesem Gebiet. „Des öfteren kamen Beschwerden darüber, daß auch CC-Zeitkarten-Nutzer in der 1. Klasse fahren dürfen“, sagt sie. Aber schließlich biete der HVV ein Massenverkehrsmittel an, und da sei es einfach nicht mehr zeitgemäß, diesen Extra-Service in Form einer 1. Klasse anzubieten. Das sei ja in anderen Großstädten auch nicht üblich, und in der U-Bahn funktioniere es ebenfalls bestens ohne.
Nicht alle reagieren mit Ablehnung auf die „Klassen-Reform“. „Ich weiß nicht, was diese 2-Klassen-Gesellschaft noch soll“, sagt Jens Kroll, „schließlich sind wir doch alle nur Menschen.“ Jörg Fischer legt täglich die Strecke Alsterdorf - Blankenese zurück. Mit der 1. Klasse fährt er, „weil es sich hier besser frühstücken lässt“. Dennoch findet er die Abschaffung gut. Durch die gleichmäßige Aufteilung der Fahrgäste auf alle Wagen erhofft er sich ein größeres Platzangebot. Dies verspricht ja auch der HVV. Ein Drittel aller S-Bahn-Waggons sei für die 1. Klasse reserviert, sagt Fech, diese mache allerdings nur 13 Prozent der Fahrgäste aus. „In Zukunft bekommt jeder einen Sitzplatz“, prophezeit sie. Nur zu den Stoßzeiten könne das ein wenig problematisch werden. „Alles Augenwischerei“, findet Dagmar Otsche aus Sülldorf. „Mich stört es nicht, daß die Zwei-Klassen-Gesellschaft wegfällt, aber um mehr Sitzplätze zu bieten, müsste der HVV einfach mehr Züge einsetzen. Für das Geld, das ich bezahle, erwarte ich schon mehr Service.“
Überhaupt keine Vorteile sieht Heinz Langner in dem neuen Konzept. Er fährt jeden Tag die Strecke Wedel-Bahrenfeld. „Ich bin immer 1. Klasse gefahren und tue das grundsätzlich.“ Auf die Frage nach dem Grund dafür muss er erst einmal überlegen. Dann fällt ihm ein, dass es bequemer sei und er auf jeden Fall einen Platz finde. „Die 1. Klasse ist immer gerammelt voll“, argumentiert er weiter, um sich gleich zu widersprechen: „Die Behauptung, daß sich in der 2. Klasse alle drängeln, wurde von Leuten gemacht, die noch nie mit der S-Bahn gefahren sind.“ Um ihn herum sind die Plätze frei, während sich zur selben Zeit ein paar Meter weiter im Zweit-Klassen-Waggon mancher mit einem Stehplatz zufrieden geben muss.
Auch einige CC-Karten-Fahrer, die mit ihrem Ticket die 1. Klasse, sowie Nacht- und Schnellbus nutzen können, stehen der Änderung skeptisch gegenüber. Denn für sie ändert sich beim Fahrpreis nichts. „Trotz Abschaffung der 1. Klasse voller Zuschlag zur Abokarte? Für den HVV ist das ein gutes Geschäft – für mich nicht“, schimpft Renate Schneider aus Othmarschen. Sie ist auf den Schnellbus angewiesen, da in ihrer Nähe kein anderes Verkehrsmittel fährt. „Es wäre schön, wenn es nun eine entsprechende Alternative oder zumindest eine faire Preisregelung für Schnellbusnutzer geben würde.“
Einer will sogar in Zukunft auf die Bahn verzichten: Herbert Kühn aus Seevetal. „Ich habe 150 Prozent gezahlt, nun gibt es für mich keinen Sitzplatz mehr bis Harburg – ich fahre wieder mit dem Auto.“
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