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„Die werden ihre Gründe haben“

Eine Woche lang streiken Fachärzte der Hauptstadt: für höhere Honorare und gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung. Viele Patienten standen gestern vor verschlossenen Türen. Doch die meisten nahmen es gelassen

von NICOLE MASCHLER

Für diese Woche haben wir erst gar keine Termine vergeben, sagt Constanze Jorde. Wegen Überfüllung geschlossen? Wohl kaum. Wie leer gefegt wirkt das Wartezimmer der Augenärztin. Jorde hat Bereitschaftsdienst. Ihre Kollegen sind im Streik. Eine Woche lang wollen Berlins Augen-, Haut-, Hals-Nasen-Ohren- und Frauenärzte gegen sinkende Einnahmen protestieren. Seit dem Morgen, heißt es, laufen beim ärztlichen Bereitschaftsdienst die Drähte heiß.

Doch bei Constanze Jorde ist davon wenig zu spüren. Kaum Notfälle, nur einmal akuter Augendruck. Seit dem Mittag waren lediglich sechs Patienten hier. Wer sich eigens aus dem Umland in die Stadt aufgemacht hat, sagt Jorde, den würde sie aber sicher nicht an der Tür abspeisen.

Vor einem Jahren hat sie die Räume im Ärztehaus Oberwasserstraße bezogen. Die erste eigene Praxis und nun der erste Streik. Was Sparzwang bedeutet, habe auch sie erfahren: das enge Arzneimittelkorsett, die Regressforderungen. „Das ganze System müsste anders organisiert werden“, findet Jorde. Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin sind die Einnahmen ihrer Mitglieder in diesem Jahr um 30 Prozent zurückgegangen.

In den nächsten Tagen will sich auch Constanze Jorde an den Veranstaltungen des Aktionsrates Berliner Kassenärzte beteiligen. Am Schweigemarsch, an der Kranzniederlegung am Robert-Koch-Platz, bei der die Ärzte 95 Thesen anschlagen wollen – für eine bessere Gesundheitspolitik. So sehen es jedenfalls die Ärzte.

Jordes einziger Patient hat inzwischen die Praxis verlassen, gibt in der Apotheke nebenan sein Rezept ab. Die Automatiktür öffnet sich im Zwei-Minuten-Takt. „Heute ist hier ganz normaler Betrieb“, sagt die Apothekerin. In der Umgebung hätten sich ja nur wenige Ärzte an den Protesten beteiligt. Vorhin habe aber ein aufgeregter Patient angerufen. „Der Urologe wollte ihn nicht behandeln“, empört sich die Apothekerin. Was den Streik angeht, könne man geteilter Meinung sein. Ihre steht fest: „Wenn das auf dem Rücken der Patienten ausgetragen wird, finde ich das nicht okay.“

Vor dem Ärztehaus am Rosa-Luxemburg-Platz steht ein junges Pärchen und schaut ratlos um sich. Der Mann trägt einen dicken Pflasterverband um den Daumen. Nichts Lebensgefährliches, aber doch so ernst, dass er einen Hautarzt aufsuchen will. Ein paar Ecken weiter, der habe vielleicht geöffnet. „Wir werden schon einen finden“, sagt seine Begleiterin. Verärgert klingt das nicht, eher verständnisvoll. „Die werden schon einen Grund haben, warum sie streiken.“ Welchen, das wissen die beiden allerdings auch nicht.

Im Haus sind die Flure leer gefegt. Die Augenheilkundlerin im dritten Stock hat die Jalousien runtergezogen. An der Wand hängt ein Zettel: Warum gibt es die Aktionswoche in Berlin? „Immer größere Sparzwänge“, gibt das Plakat ebenso knapp wie unbefriedigend Auskunft.

„Ich spreche nicht gern von Streik, lieber von Aktionswoche“, sagt Sylvia Gedatus. Die Hals-Nasen-Ohren-Ärztin ist heute für den Notdienst in Mitte zuständig. Den Begriff Streik findet sie denkbar unglücklich. „Wir reden uns ja schon so den Mund fusselig, um den Patienten das zu erklären.“ Dabei sei sie selbst mehrfach in Regress genommen worden, weil ihr Budget überschritten war. „Ich finde es auch nicht richtig, dass wir Leuten ohne Zuzahlung nicht helfen können.“

Dass der Streik etwas bringt, glaubt Gedatus indes nicht. Eher schnitten sich die niedergelassenen Ärzte der Stadt ins eigene Fleisch. Eine Woche Honorarverlust sei nicht eben wenig. Warum sie sich trotzdem an den Aktionen beteiligt? „Irgendetwas müssen wir ja tun.“

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