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Brunner in Damaskus, lebend oder tot

Der Kriegsverbrecher Alois Brunner soll in Syrien Asyl gefunden haben. Kanzler Schröder könnte nachfragen

BERLIN taz ■ Wie bereits in Kairo hat Bundeskanzler Schröder auch im Libanon mahnende Worte zum Nahost-Konflikt gesprochen, deutsche Wirtschaftshilfe und verstärkte Bindungen an die Europäische Union in Aussicht gestellt, bevor er am Montagmorgen nach Jordanien weiterreiste. Noch am selben Tag ging es weiter nach Damaskus, wo ähnliche Themen und Verlautbarungen zu erwarten sind. Schröders Reise hat protokollarische und symbolische Bedeutung, das gilt gerade für Syrien. Immerhin hat noch kein deutscher Regierungschef dem Assad-Regime seine Aufwartung gemacht, ranghöchster Besucher aus Deutschland war 1995 Außenminister Klaus Kinkel an der Spitze einer Wirtschaftsdelegation.

In den symbolischen Rahmen gehört auch die Klärung einer Frage, die seit vielen Jahrzehnten ansteht und nicht nur Deutschland, sondern auch Israel, Frankreich und Griechenland betrifft: Lebt Alois Brunner, einst die rechte Hand Adolf Eichmanns, in Damaskus, oder ist er dort gestorben? Gegen Brunner, der heute 88 Jahre alt wäre, liegen internationale Haftbefehle wegen der Deportation von mehr als 128.000 Juden vor. In Österreich, in Frankreich und Griechenland organisierte der SS-Mann Brunner den Transport der Juden in die Vernichtungslager. Seit 1938 Leiter der von Eichmann eingerichteten „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien, war er zunächst für die Deportation aus Österreich und Mähren zuständig, ab 1941 organisierte er die Verfolgung in Griechenland. Allein aus Saloniki wurden 55.000 Juden in die Lager transportiert. Seit 1941 übernahm Brunner die Organisation des Massenmords in Nizza und Paris.

Nach dem Kriegsende war Brunner untergetaucht, nach Recherchen von Simon Wiesenthal und dem französischen Rechtsanwalt Serge Klarsfeld, dessen Vater zu den Opfern Brunners gehörte, galt es als wahrscheinlich, dass Brunner seit Mitte der 50er-Jahre unter dem Namen Dr. Georg Fischer in Syrien Unterschlupf gefunden hatte. Die Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen (Odessa) verfügte in der Nachkriegszeit im Nahen Osten über ein gut organisiertes Netzwerk, das gesuchten Kriegsverbrechern zur Flucht verhalf.

Die Verbrechen, deren Brunner beschuldigt wird, sind nicht verjährt, noch Anfang 1996 setzten die Staatsanwaltschaften Köln und Frankfurt eine Belohnung von 500.000 Mark für seine Ergreifung aus, in Frankreich, wo Brunner bereits 1954 in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden war, erhob Serge Klarsfeld 1992 Klage wegen nicht geahndeter Taten. Das Verfahren begann im September 1999 in Paris.

Damaskus hatte die Anwesenheit des Kriegsverbrechers in Syrien stets geleugnet und Auslieferungsanträge Deutschlands und Griechenlands abgewiesen. Immer wieder kursierten auch Meldungen über Brunners Tod. Zuletzt soll, nach Informationen des Spiegel, der deutsche Botschafter in Syrien das Ableben Brunners bestätigt haben, gestützt auf Schilderungen eines französischen Journalisten, der erklärte, Brunner sei bereits 1996 in Damaskus gestorben und anonym beigesetzt worden. Über Jahre gab es jedoch immer wieder Zeugen, die behaupteten, der ehemalige SS-Mann lebe im Luxushotel „Meridien“ in der syrischen Hauptstadt.

Der deutsche Bundeskanzler wird als Friedensbote zwischen den Nahost-Fronten kaum etwas ausrichten können, wenn er im Gespräch mit dem neuen syrischen Führer die Frage nach dem Verbleib des meistgesuchten Kriegsverbrechers des Zweiten Weltkriegs zur Klärung bringt, wäre dies immerhin ein Beitrag zur Entspannung in einem alten Konflikt, der die aktuellen Auseinandersetzungen noch immer speist. EDGAR PEINELT

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