Kritik an Entwicklungspolitik

Die Hilfsorganisationen Welthungerhilfe und Terre des hommes werfen der rot-grünen Bundesregierung vor, die versprochene Trendwende verpasst zu haben

„Das 0,7-Prozent-Ziel erwähnen wir schon gar nicht mehr“

BERLIN taz ■ Der Regierungswechsel hat keine Trendwende in der Entwicklungspolitik gebracht. Das haben die Hilfsorganisationen Terre des hommes und Welthungerhilfe gestern der rot-grünen Bundesregierung vorgeworfen. „Eine kohärente und an den Zielen und Interessen der Ärmsten orientierte Süd-Politik exisiert nach wie vor höchstens in Ansätzen“, sagte Peter Mucke, Geschäftsführer von Terre des hommes, bei der Vorstellung des Berichts „Die Wirklichkeit der Entwicklungshilfe“ in Berlin.

Entgegen der Ankündigung von Rot-Grün, dem Entwicklungsministerium (BMZ) wieder mehr Bedeutung zu verleihen, habe dessen Gewicht sogar noch abgenommen. Der Anteil des BMZ-Etats am Gesamthaushalt werde sich 2003 von 1,7 Prozent 1998 auf 1,3 Prozent reduzieren. In der „finanzpolitischen Marginalisierung dieses Politikfelds“ drücke sich auch seine „Geringschätzung am Kabinettstisch“ aus, sagte Mucke.

Das Ziel, die Entwicklungsausgaben auf 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts anzuheben, „erwähnen wir schon gar nicht mehr“, erklärte der Geschäftsführer. Auch hier habe sich die Situation verschlechtert. Die Ausgaben sanken von 0,26 Prozent 1998 auf schätzungsweise 0,23 Prozent dieses Jahr.

Gelobt wurde die Initiative zum Schuldenerlass für Entwicklungsländer, die die Bundesregierung zum Kölner Wirtschaftsgipfel 1999 ins Leben gerufen hatte. Die Umsetzung verlaufe aber „ähnlich schleppend wie die Maßnahmen zur Schuldenerleichterung der Vorgängerregierung“, kritisierte Mucke. Der Generalsekretär der DeutschenWelthungerhilfe, Volker Hausmann, forderte die Bundesregierung auf, innerhalb der UNO auf die Entwicklung eines völkerrechtlich verbindlichen Entschuldungsverfahrens mit klaren Regeln zu drängen. „Die Entschuldungsinitiative ist eine einmalige Sache. Das Schuldenproblem wird aber weiter bestehen bleiben“, warnte Hausmann.

Der Bericht erwähnt die Bemühungen des BMZ, Demokratie in den Entwicklungsländern zu fördern, als „unterstützenswert“. Ebenso wichtig sei aber die stärkere Beteiligung an internationalen Institutionen wie der Weltbank, dem Währungsfonds, dem UN-Sicherheitsrat, den G 8 und dem Pariser Club. Mucke: „Hier werden weltpolitische Entscheidungen getroffen, ohne dass die armen Länder dabei sind.“

Er frage sich, was die Regierung dazu beitragen wolle, die Zahl der Armen bis 2015 zu halbieren – ein Ziel, auf das sich die Staatengemeinschaft festgelegt hat. Der Generalsekretär der Welthungerhilfe fügte hinzu, derzeit lebten 1,3 Milliarden Menschen unter der absoluten Armutsgrenze von 1 Dollar am Tag. Er verlangte von der Regierung, auf der Haushaltssitzung am 16. November einen Sonderfonds zur Armutsbekämpfung in Höhe von 10 Millionen Mark zu beschließen. So viele Arme seien auch eine Bedrohung „unserer eigenen Sicherheit“.

Ohne Geld könne die von der Koalition angekündigte globale Strukturpolitik nicht funktionieren, heißt es in dem Bericht. Diese Vernetzung von entwicklungspolitischen Aspekten der verschiedenen Ressorts sollte ein rot-grünes Novum werden.

KATHARINA KOUFEN

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