: Ein Treffen an der Kreuzung zweier Sackgassen
Ein Ende der Gewalt ist die Voraussetzung für neue Gespräche. Doch Arafat ebenso wie Barak fehlt der nötige innenpolitische Rückhalt
BERLIN taz ■ Mehr als zwei Wochen nach den Vereinbarungen von Scharm al-Scheich wollen die Konfliktparteien nun doch ein vorläufiges Ende der Gewalt herbeiführen. Wenn dies gelingt, dem Terroranschlag zum Trotz, kann die Diplomatie einen Tageserfolg verbuchen. In der Sache, den Meinungsverschiedenheiten über die Umsetzung der seit Jahren beschlossenen Maßnahmen des so genannten „Friedensprozesses“, ist man dann noch keinen Schritt weiter. Die militärischen Auseinandersetzungen waren nicht zuletzt ein blutiger Test der innenpolitischen Konsensfähigkeit solcher Regelungen in beiden Lagern. Barak erklärte Arafat zum eigentlichen Drahtzieher der neuen Intifada, und Arafat wünschte Barak zum Teufel, aber abgerissen sind die Kontakte während der Kämpfe nicht, trotz aller rhetorischen Schärfe. Man telefonierte und schickte Emissäre. Aber für wen sprechen die Repräsentanten?
Arafat ist als Symbolfigur nicht zu ersetzen, und die Tansim-Milizen der Fatah haben in den Kämpfen mit israelischen Truppen zweifellos eine wichtige Rolle gespielt. Aber vielleicht nicht die allein entscheidende. Was Israel als Beleg der Rädelsführerschaft galt, die Teilnahme der Fatah an den beiden Komitees zu Koordination des Aufstands, wurde von Hamas-Führer Machmud Sahar selbstbewusst mit dem Hinweis kommentiert, sie sei dort nur eine von zwölf Organisationen. Neben der Hamas sind noch andere radikale Organisationen aktiv, und auch innerhalb der Fatah gibt es Befürworter einer Politik, die das Pendant zu Israels Koalition der Einheit wäre. Der nächste Prüfungstermin wird der 15. November sein, dann will der PLO-Zentralrat erneut über die Proklamation eines unabhängigen Palästina entscheiden. Auf die Ankündigung einer Beendigung der Kämpfe hat Marwan Barguti, der Vorsitzende der Tansim, erst einmal mit dem Hinweis reagiert, er sei bereit, den Kampf gemeinsam mit der Hamas fortzusetzen. Hat Arafat also den Ritt auf der Welle der Gewalt versucht, um nicht unter ihr begraben zu werden?
Israels Ministerpräsident Barak, auf der Suche nach einer Mehrheit im Parlament, wäre sogar bereit gewesen, in einer Notstandsregierung mit Ariel Scharons Likud zu koalieren. Dass dies nicht gelang, lag an den Maximalforderungen Scharons, der sich innerhalb der eigenen Partei nicht rechts überholen lassen wollte. Schließlich hatte sich längst Benjamin Netanjahu zu Wort gemeldet und eine „Politik der Abschreckung“ sowie Neuwahlen gefordert. Netanjahus Beliebtheitskurve scheint nach Umfragen wieder aufwärts zu weisen. Der Likud fühlt sich offenbar stark genug für eine Rückkehr zur Politik der militärischen Lösungen. Nun setzt Barak in der Knesset auf die Duldung durch die ultrareligiöse Schass-Partei, die dafür finanzielle und politische Vorteile herausgeschlagen hat. Das Abkommen gilt aber nur für vier Wochen, und man muss sich fragen, was Barak innerhalb dieser Frist bewirken will. Innerhalb der Arbeitspartei fällt die Rolle des Friedensstifters wieder Schimon Peres zu, der jedoch als Spitzenkandidat nie erfolgreich war und erst kürzlich bei der Wahl des Staatspräsidenten gegen den unbekannten Likud-Mann Mosche Katzav verlor. Ob Baraks Programm, einen Friedensvertrag zu den bestmöglichen Bedingungen zu erzwingen, bei Neuwahlen mehrheitsfähig wäre, steht in Frage.
So treffen sich die Protagonisten am Kreuzungspunkt der Sackgassen, in die sie innenpolitisch geraten sind. Finden sich in beiden Lagern nicht genügend Unterstützer einer Politik, die am Ende doch noch die oft beschworene „Friedensdividende“ bringen soll, dann bleibt für Palästina nur die Unabhängigkeitserklärung und für Israel die „einseitige Abtrennung der Gebiete“. Das würde eine Rückkehr zum Besatzungsstatut für Teile der Gebiete und zu den israelischen Annektionsplänen bedeuten, mit allen wirtschaftlichen und politischen Folgen für die gesamte Region. Es ist nicht gewiss, wer diese Entscheidungen trifft – es müssen nicht Barak und Arafat sein. EDGAR PEINELT
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