: Serbiens Übergangsregierung scheint am Ende
Weil ein Geheimdienstchef nicht abtritt, legen die Demokratische Opposition und die Serbische Erneuerungsbewegung ihre Mitarbeit zunächst auf Eis
BELGRAD taz ■ Nicht einmal zehn Tage hat die Übergangsregierung Serbiens amtiert. Nachdem die Demokratische Opposition Serbiens (DOS) und die Serbische Erneuerungsbewegung (SPO) wiederholt den Rücktritt des Geheimdienstchefs Rade Marković gefordert hatten, die Sozialistische Partei Serbiens (SPS) jedoch stur blieb, erklärten sie demonstrativ, bis zur Ablösung des Polizeigenerals nicht mehr an der Regierung teilzunehmen.
Die Zuspitzung um Marković, der in Attentate und Entführungen verwickelt sein soll, nahm die DOS zum Anlass, die machtlose Regierung zu verlassen und sich so der Verantwortung für die katastrophale Lage im Lande zu entziehen. Einige DOS-Führer hatten zuvor gewarnt, die Erbitterung der Bürger könnte sich leicht auf die neuen Machthaber richten, wenn sich die Lage nicht rasch ändere. Und eine spürbare Verbesserung der Versorgung mit Strom und Grundnahrungsmitteln ist nicht in Sicht. Sprecher der bisherigen Regierungsparteien höhnen schon, sie hätten vorausgesagt, auf das Versprechen des Westens, schnelle Hilfe zu leisten, könne man sich nicht verlassen.
Obwohl die Kontrolle über einzelne Ressorts, nachdem DOS und SPO die Übergangsregierung verlassen haben, rechtlich überhaupt nicht geregelt ist, hofft die DOS, durch die Autorität eigener Minister Serbien doch bis zu den Parlamentswahlen am 23. Dezember verwalten zu können. Das ist vor allem deshalb denkbar, weil nicht nur in wichtigen Betrieben, sondern auch in wesentlichen Institutionen wie der Zolldirektion Krisenstäbe oder Streikausschüsse das Kommando übernommen haben und auf die Weisungen der DOS hören.
Wichtig ist, dass praktisch alle Medien, die noch gleicher geschaltet als unter Milošević wirken, die Lage so erklären, dass die Mängel auf einem unerhörten Raubbau der bisherigen Machthaber beruhen. Das tröstet zwar die Bürger, die im Dunkeln sitzen und frieren, nur halbwegs, wird aber der DOS wohl bei den Parlamentswahlen die absolute Mehrheit, vielleicht sogar die Zweidrittelmehrheit, sichern.
Am Wochenende soll nach vielen Verzögerungen die jugoslawische Bundesregierung konstituiert werden. Die Bundesregierung werden die DOS und die „Sozialistische Volkspartei“ (SNP), der ehemalige Verbündete von Milošević aus der Teilrepublik Montenegro, bilden.
Die regierenden Parteien in Montenegro und Präsident Milo Djukanović kündigten an, eine solche Bundesregierung und Jugoslawiens Präsidenten, Vojislav Koštunica, nicht anzuerkennen. Die Fortsetzung der Föderation werde erst nach Neuwahlen möglich sein, und zwar nur, wenn sich zuvor die Bürger Serbiens und Montenegros bei einem Referendum mehrheitlich für einen gemeinsamen Staat entscheiden. So wird die Bundesregierung zwar keinen Einfluss auf Montenegro haben, dafür aber die nicht existente serbische Übergangsregierung teilweise ersetzen. ANDREJ IVANJI
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