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Königlicher Maulkorb für die freie Presse

Marokko verweist mit Claude Juvénal den Bürochef der französischen Nachrichtenagentur AFP des Landes

MADRID taz ■ Claude Juvénal, Journalist der französischen Nachrichtenagentur AFP in Rabat, muss seine Koffer packen. Dem 56-Jährigen, der seit 1996 das AFP-Büro in der marokkanischen Hauptstadt leitet, wurde am Freitagabend von der Polizeipräfektur mitgeteilt, dass er bis Montagnacht das Land zu verlassen habe.

Eine Begründung für diese Maßnahme gibt es keine. In der staatlichen Nachrichtenagentur MAP kommt nur eine „offizielle Quelle aus dem Kommunikationsministerium“ zu Wort. Juvénal habe demnach „gegen die Ethik und den Ehrenkodex seines Berufes verstoßen und eine feindliche Haltung gegenüber Marokko eingenommen.“ Als „absolut aus der Luft gegriffen“ bezeichnet François Granchié, Mitglied der AFP-Chefredaktion in Paris, den „schwerwiegenden Eingriff“.

Er hat für die Haltung Marokkos nur eine Erklärung: „Unsere Agentur hat in der letzten Zeit sehr ausführlich über Menschenrechtsfragen und über verschiedene Korruptionsfälle in der Armee berichtet.“ Dabei hat AFP auch Organisationen zitiert, die trotz der zögerlichen Öffnung unter dem jungen König Mohammed VI. und der Regierung des Sozialisten Abderrahmene Youssoufi auf oppositionellem Kurs bleiben. „Die Ausweisung unseres Journalisten wirft ein schlechtes Bild auf die vermeintliche Öffnung“, sagt Granchié, der sich an die schlimmsten Zeiten unter dem verstorbenen Vater von Mohammed VI., Hassan II., erinnert fühlt. Der Generalsekretär von Reporters sans Frontières (RsF; Reporter ohne Grenzen), Robert Ménard, erhob gestern „scharfen Protest“ gegen diese „nicht zu akzeptierende Maßnahme“.

Für Ménard ist die Ausweisung Juvénals nur die Spitze des Eisberges. Nach einer kurzen Phase der Öffnung hat die Regierung Youssoufi alleine in diesem Jahr acht Zeitungen vorübergehend schließen lassen und über zwei Journalisten Reiseverbot verhängt. Marokkos Regierung scheint dabei nach der gleichen Liste von Tabuthemen vorzugehen wie bereits unter Hassan II. So mussten mehrere Zeitungen ihren Vertrieb einstellen, nachdem sie ein Interview mit dem Vorsitzenden der Befreiungsfront Polisario, Mohammed Abdelaziz, veröffentlicht hatten.

In seiner Partei, der Union der Sozialistischen Volkskräfte (USFP), sorgt Regierungschef Youssoufi ebenfalls für die richtige Linie in der Presselandschaft. So ließ er Anfang Oktober die Zeitschrift des Jugendverbandes „Chabiba Ittihadia“ schließen, nachdem diese die regierungstreue Presse angegriffen hatte – mit einer Karikatur.

Auch vor der Ausweisung von Claude Juvénal machten der neue König Mohammed VI. und sein sozialistischer Ministerpräsident vor internationalen Medien nicht Halt. Erst vor wenigen Wochen wurde ein TV-Team von France 3 mehrere Tage festgehalten, nachdem sie über einen Gedenkmarsch von Menschenrechtsorganisationen berichtet hatten.

„Die marokkanischen Autoritäten beweisen, dass sie zunehmend intoleranter werden“, schlussfolgert RsF-Generalsekretär Ménard. REINER WANDLER

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