piwik no script img

PSYCHIATRISCHE ANSTALTEN KÖNNEN KEINE GEFÄNGNISSE ERSETZENDie Placebotherapie

Es ist wie immer: „Härtere Strafen“ sollen es richten. So auch das Patentrezept im Falle des entflohenen Sexualstraftäters Frank Schmökel. Nur: Solchen Forderungen kam die Politik schon seit zwei Jahren mit dem „Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten“ entgegen. Seitdem ist eine langjährige Sicherungsverwahrung bereits nach der ersten Wiederholungstat möglich, und Bewährungsentlasssungen bedürfen bei schweren Delikten einer günstigen gutachterlichen Prognose.

Doch diese „Härte“ ist bloß ein Placebo: Die Verlängerung von Haftzeiten verringert nicht das Rückfallrisiko. Und Gutachterprognosen sind oft nicht treffsicherer als chinesische Horoskope. Statt ins Gefängnis schiebt man Täter wie Schmökel daher gern in die Psychiatrie ab. Diese verkommt zur heimlichen Sicherungsverwahrung: Im Rheinland wird jeder dritte Sexualdelinquent, den Gerichte als nicht schuldfähig einstufen, in einer allgemeinpsychiatrischen Abteilung untergebracht.

Der Gesetzgeber packte aber 1998 auch einen Funken Vernunft in Paragrafenform: mehr Therapie für Täter – auch gegen deren Einverständnis. Zwar sind Therapien kein Allheilmittel, aber vielfach eröffnen sie die Chance auf ein straffreies Leben: Ein Resümee von Untersuchungen in verschiedenen Ländern belegt, dass die Rückfallquote bei Sexualstraftätern mit Therapie bei 19 Prozent, bei Tätern ohne Therapie hingegen bei 27 Prozent liegt. In deutschen Gefängnissen wird diese Option dennoch kaum genutzt. Für die unterschiedlichsten Gewalttäter – prügelnde Familienväter, Mörder, aggressive Hooligans oder Sexualdelinquenten – stehen nur 1.000 Sozialtherapieplätze zur Verfügung. Allein für Sexualtäter wäre die doppelte Anzahl dringend nötig.

Die aktuelle Debatte sollte nicht dazu führen, Sexualstraftätern bei der Therapie mehr Vorrang einzuräumen als schon von Gesetzes wegen nötig. Sonst verdrängt man nur andere Gewalttäter aus der Behandlung. Entscheidend für eine Therapie kann nicht das Delikt sein, sondern die Frage, ob der Täter therapierbar erscheint. Die anfängliche Bereitschaft ist für einen Therapieerfolg nicht ausschlaggebend. Abwehren und Nicht-wahrhaben-Wollen sind für Sexualstraftäter typisch. Ein Sinn der Strafe besteht gerade darin, in der Therapie eine Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortlichkeit zu entwickeln. Gleichwohl bleibt eine kleine, nicht behandlungsfähige Gruppe. Statt sie in die Psychiatrie abzuschieben, ist ein Ausbau der Sicherungsverwahrung nötig. HARRY KUNZ

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen