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Maßregelvollzug auf dem Prüfstand

Nach der Festnahme von Frank Schmökel hat die Suche nach den Missständen im Maßregelvollzug begonnen. Der ehemalige Therapeut von Schmökel warnt davor, die Unterbringung von Sexualstraftätern auf den Sicherheitsaspekt zu reduzieren

von PLUTONIA PLARRE

Der 38-jährige Sexualstraftäter Frank Schmökel soll schnellstmöglich nach Brandenburg verlegt werden. Schmökel war am Dienstag nach 13-tägiger Flucht in der Nähe von Bautzen in Sachsen gestellt und bei seiner Festnahme durch einen Bauchschuss verwundet worden. Die Verletzung sei aber nicht lebensgefährlich, heißt es. Die beiden Beamten, die den Gesuchten überwältigten, bekamen gestern von der Polizeigewerkschaft und dem Beamtenbund eine einwöchige Urlaubsreise geschenkt.

Ende gut, alles gut? Der Diplompsychologe Michael Brand warnt davor, über die Unterbringung von Sexualstraftätern nur unter Sicherheitsaspekten zu diskutieren. Brand hatte Schmökel 1996 in der Landesklinik Brandenburg psychotherapeutisch betreut und ist seither dessen Vertrauensperson. Ihn hatte er auch angerufen, nachdem er auf seiner Flucht einen Rentner erschlagen hatte.

Wie berichtet, hat die brandenburgische Landesregierung eine Expertenkommission damit beauftragt, die Missstände im Maßregelvollzug zu untersuchen. Wohin die Reise gehen soll, scheint aber bereits festzustehen. „Die Sicherungsmaßnahmen haben Vorrang vor therapeutischen Zielen. Die Menschen müssen vor allem geschützt werden“, hat Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) klargestellt. Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) möchte den angeblich untherapierbaren Frank Schmökel ohnehin lieber in einer Haftanstalt untergebracht sehen.

Michael Brand hält das für genau den falschen Weg. Das Hauptproblem der im Maßregelvollzug untergebrachten Sexualstraftäter wie Frank Schmökel sei, dass es dort keine vernünftigen therapeutischen Angebote gebe. Die einzige Therapie, die stattfände, sei eine Verhaltenstherapie. Doch diese sei bei Patienten wie Schmökel, die an tiefliegenden Persönlichkeitsstörungen litten, grundverkehrt. „Wenn Schmökel eine tiefenpsycholgische Psychotherapie mit beständiger Begleitung bekäme, wäre er sehr wohl therapierbar“, glaubt Brand.

Aus seiner Kritik an den Missständen im brandenburgischen Maßregelvollzug hatte der 56-jährige Brand schon 1996 kein Hehl gemacht. Damals war er in der Landesklinik Brandenburg tätig. Die Patienten würden nur medikamentisiert und aufbewahrt. Nach vier Monaten wurde Brand mit der Begründung gekündigt, er habe mit den Patienten paktiert. Von Schmökel, der ihm seither 50 Briefe schrieb und den er in all den Jahre regelmäßig besuchte, weiß Brand, dass dieser sehr unter dem Abbruch der Therapie gelitten habe. „Er hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder um die Wiederaufnahme einer Therapie bemüht, ist aber regelmäßig frustiert worden.“ Schmökels Zustand habe sich in der Zeit vor seiner Flucht am 25. Oktober massiv verschlechert. „Er hat gemerkt, dass sich in ihm der schlafende Hund, den er als Bestie bezeichnete, wieder regt.“ Schmökel habe sehr versucht, seinen Zustand dem Klinikpersonal mitzuteilen, doch die Signale seien nicht gehört worden. Brand tritt damit der in den Medien geäußerten Behauptung entgegen, Schmökel habe sich gegenüber den Ärzten und Pflegern verstellt, um in den Genuss von Vollzugslockerungen zu kommen. Schmökels Briefe, die das Gegenteil belegen, hat die Kripo in der Nacht von Sonntag zu Montag bei Brand beschlagnahmt.

Brands große Sorge ist, dass das Raumschiff Maßregelvollzug noch mehr nach außen abgeschottet wird, „um die wild gemachte Öffentlichkeit zu beruhigen“. Dabei müsse es darum gehen, eine Trennung von Therapie und Sicherheit zu erreichen, damit die Patienten Vertrauen zu ihren Therapeuten fassen können. „Der Therapeut“, so Brand, „darf nicht gleichzeitig der Kerkermeister sein.“

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