: Ein TV-Programm für die Kurden
Will die Türkei in die EU aufgenommen werden, muss sie die kulturellen Rechte ihrer Minderheiten sichern, die Todestrafe abschaffen und die Macht des Militärs begrenzen. Nichts ist unmöglich, heißt es aus Ankara
ISTANBUL taz ■ Mit Erleichterung ist in der Türkei gestern der Katalog der Europäischen Union zur Kenntnis genommen worden, in dem Brüssel seine Forderungen für eine „Beitrittspartnerschaft“ des Landes formuliert hat. Der Maßnahmenkatalog, hieß es in Ankara, sei akzeptabel und hätte auf die Sensibilitäten der Türkei Rücksicht genommen. Das Papier ist die konkrete Beschreibung der Maßnahmen, die die türkische Regierung für die Erfüllung der „Kopenhagener Kriterien“ einleiten muss. Mit diesen legte die EU 1993 die Bedingungen für die Aufnahme neuer Mitglieder fest.
Die Stolpersteine des Katalogs sind die politischen Forderungen. Von der Todesstrafe über Folter, Meinungsfreiheit, kulturelle Rechte für Minderheiten bis zum Einfluss des Militärs hat der für die Erweiterung zuständige Kommissar Günter Verheugen keines der Themen ausgespart, die schon bislang für Furore im Verhältnis der Türkei zur EU sorgten. Allerdings hat man in Brüssel sorgfältig darauf geachtet, die Forderungen sprachlich so zu verpacken, dass die türkische Seite ihr Gesicht wahren kann und außerdem einen zeitlichen Rahmen für die Umsetzung vorgeschlagen, der realistisch erscheint. Kurzfristig, das heißt innerhalb eines Jahres, soll Ankara die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, dass die Einschränkungen der Meinungsfreiheit aufgehoben und Folter wirksam bekämpft wird. Außerdem setzte die griechische Regierung eine Formulierung durch, mit der die Türkei aufgefordert wird, die UN-Vermittlungsbemühungen auf Zypern zu unterstützen.
Für die größeren Reformwerke will man Ministerpräsident Ecevit und seinen Koalitionären Mesut Yilmaz und Devlet Bahceli etwas mehr Zeit lassen. Die brisantesten Fragen sind die kulturellen Rechte für Minderheiten und der Einfluss des Militärs. Die EU erwartet, dass zukünftig alle türkischen Staatsbürger Fernseh- und Radioprogramme in ihrer Muttersprache sehen und hören können und in den Schulen auch muttersprachlicher Unterricht stattfindet. Ohne explizit darauf einzugehen, sind damit vor allem die kulturellen Rechte für die Kurden gemeint. Bislang hat jede türkische Regierung Minderheitenrechte für die kurdischstämmige Bevölkerung kategorisch abgelehnt, doch gibt es nun Anzeichen, dass unter dem Druck der EU etwas mehr Flexibilität möglich ist. So hatte bereits vor Wochen Mesut Yilmaz, der innerhalb der Regierung für EU-Fragen zuständig ist, öffentlich erklärt, der Weg nach Europa führe über Diyarbakir.
Ohne die Zustimmung des Nationalen Sicherheitsrates, den das Militär dominiert, wird es eine solche Reform jedoch nicht geben. Daher fordert die Union, dass der Nationale Sicherheitsrat bis Ende 2001 von seiner heutigen dominierenden Position auf ein reines Konsultativorgan zurückgedrängt wird. Das heißt, die Militärs müssen das Primat der Politik akzeptieren.
Dies wird vom Sicherheitsrat nicht prinzipiell abgelehnt, die EU müsse aber auch die besondere Situation der Türkei berücksichtigen. So stehen für die Militärs die laizistische Verfassung und die Integrität des Landes nicht zur Disposition. Außerdem schweben dem Militär wesentlich längere Übergangszeiten für ihren Rückzug aus der Tagespolitik vor. Hierin wird es von der Mehrheit der Bürger unterstützt, die im Militär nach wie vor einen Stabilitätsfaktor sehen.
Verglichen mit diesen beiden Reformvorhaben ist die Abschaffung der Todesstrafe nur noch eine reine Zeitfrage. Zwar beharrt die nationalistische MHP immer noch darauf, zuerst Abdullah Öcalan hinrichten zu lassen, doch auf dem großen Parteitag der ehemaligen Grauen Wölfe am letzten Sonntag hat Parteichef Bahceli unmissverständlich klar gemacht, dass der EU-Beitritt ein übergeordnetes staatliches Interesse ist, dem sich die einzelnen Parteien notfalls unterordnen müssen.
Nicht nur die reformorientierten Kräfte in der Politik, den Medien und anderen gesellschaftlichen Gruppen, sondern vor allem auch die türkische Industrie drängt mit Macht darauf, dass der Prozess der Annäherung nicht verzögert und der Katalog nun schnellstmöglich abgearbeitet wird.
Die türkische Regierung muss jetzt einen eigenen „Nationalen Fahrplan“ vorlegen, in dem sie erklärt, wie und in welchem Zeitraum sie die Forderungen umzusetzen gedenkt. Bereits in diesem Monat soll bei einer EU-Außenministertagung darüber gesprochen werden, geplant ist die Unterzeichnung eines Dokuments zur Beitrittspartnerschaft am Rande des EU-Gipfels in Nizza Anfang Dezember. „Wir haben immer gefordert, mit den anderen Beitrittskandidaten gleichbehandelt zu werden“, sagte gestern der Vertreter des Industriellen-Verbandes Tüsiad, Bahar Kaleagse, „nun, wo es so weit ist, sollten wir unsere Hausaufgaben machen.“
JÜRGEN GOTTSCHLICH
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