: Versetzung erfolgt später
Die „Fortschrittsberichte“ stellen den osteuropäischen Kandidaten zwar gute Zeugnisse aus, die Aufnahme in die EU soll aber frühestens 2004 erfolgen
aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER
„Unser Ziel ist die volle Anerkennung als Mitgliedsland“, verlangte gestern die SNP, die schottische Nationalpartei, bei einer Pressekonferenz im Europaparlament. Während die Schotten ihre Kampagne für die „Erweiterung nach innen“ starteten, wurden ein paar Meter entfernt, in der EU-Kommission, die Weichen für die Erweiterung nach außen neu gestellt.
Die mit Spannung erwarteten zwölf „Fortschrittsberichte“ über den Stand der Verhandlungen mit den zwölf Kandidatenländern fallen insgesamt positiver aus als im Vorjahr. Fast allen Ländern werden große Fortschritte sowohl bei der Anpassung der Gesetze an EU-Standards als auch in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung bescheinigt. Die besten Wirtschaftsnoten erhalten Zypern und Malta, gefolgt von Estland, Ungarn, Polen, Tschechien und Slowenien. Lettland, Litauen und die Slowakei hinken etwas hinterher. Rumänien und Bulgarien bilden derzeit das Schlusslicht.
Paradoxerweise ist dieses insgesamt gute Zeugnis dennoch mit dem Vermerk noch „nicht versetzungsfähig“ versehen. Denn im Strategiepapier zu den Berichten wird ein Verhandlungsfahrplan vorgeschlagen, der die Hoffnungen auf erste Beitritte im Jahr 2003 zunichte machen könnte. Während dieser neue Zeitplan – Abschluss der meisten Kapitel bis Ende 2001, der schwierigen Kapitel Landwirtschaft und Strukturförderung bis Mitte 2002, Ratifizierung der Beitrittsverträge bis Ende 2004 – keinen der Beobachter in Brüssel überrascht, fühlen sich einige der Kandidaten in ihren Hoffnungen enttäuscht.
Der tschechische Botschafter bei der EU, Libor Secka, glaubte noch gestern Morgen, die Kommissare würden den Zeitplan ihres für die Osterweiterung zuständigen Kollegen Verheugen nicht absegnen und ein Verhandlungsende für 2001 in Aussicht stellen. Tatsächlich erteilt der „Fortschrittsbericht“ Tschechien gute Noten für seine Wirtschaftsreformen. Defizite werden aber in Menschenrechtsfragen festgestellt. Überfüllte Gefängnisse, Frauen- und Kinderhandel sowie mangelnder Minderheitenschutz für die im Land lebenden Romafamilien werden kritisiert.
Jan Kulakowski, Chefunterhändler der polnischen Delegation und ein alter Hase im Brüsseler Geschäft, hat den Strategiefahrplan der Kommission wohl schon Anfang der Woche gekannt. In einem Interview rückte er von der bisherigen polnischen Haltung ab, den 1. Januar 2003 als spätest mögliches Beitrittsdatum zu nennen. Geschickt drehte er den Spieß um: Wenn die Union nicht bereit sei, zentrale Forderungen wie die sofortige Gleichbehandlung polnischer Bauern zu erfüllen, dann müsse der Beitrittstermin verschoben werden.
Indem Kulakowski seine Ernüchterung zeigt, verleiht er der „Dann eben nicht“-Haltung vieler Landsleute Ausdruck, die sich auch in Umfragen widerspiegelt: Waren 1995 noch 80 Prozent aller Polen für einen EU-Beitritt, sind es laut letzter Umfrage vom Herbst 1999 nur noch 46 Prozent. Sowohl der konservative Vorsitzende des Auwärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok, als auch die grüne EP-Abgeordnete Elisabeth Schroedter warnen deshalb davor, den Verhandlungsprozess noch weiter in die Länge zu ziehen. Die Länder der ersten Gruppe, so forderten die Grünen gestern, müssten so zügig aufgenommen werden, dass sie an den nächsten Europawahlen 2004 teilnehmen könnten.
Polen besteht auf freiem Dienstleistungs- und Warenverkehr möglichst vom ersten Mitgliedstag an. Gleichzeitig verlangt das Land aber großzügige Übergangsfristen für seine eigenen Problemfelder: EU-Umweltstandards in der Produktion sollen frühestens in zehn Jahren, die Abriegelung der Grenze Richtung Ukraine nach Schengen-Standards möglichst überhaupt nicht wirksam werden. Für den Bodenerwerb im Grenzgebiet sollen EU-Ausländer ein strengeres Genehmigungsverfahren durchlaufen als polnische Bürger, um deutsche Vertriebene am Rückkauf ihres Vorkriegs-Besitzes zu hindern.
Auch die Kommission scheint angesichts des komplizierten Annäherungsprozesses verstärkt auf Übergangsfristen zu setzen – allerdings auch für die Landwirtschaft. Bedenkt man, dass die konkreten Gespräche zu den besonders schwierigen Bereichen Landwirtschaft und Strukturförderung noch gar nicht begonnen haben, dann hat der nun festgelegte Fahrplan tatsächlich nur eine Chance, wenn beide Seiten Übergangsfristen akzeptieren.
Möglichst schnell muss nun offen darüber gesprochen werden, in welchen Bereichen und wie lange die Neulinge warten sollen, bis sie die gleichen Rechte und Pflichten wie derzeitige Mitgliedsländer bekommen. Bronislaw Geremek, ehemaliger polnischer Außenminister und derzeit Vorsitzender des EU-Ausschusses im polnischen Parlament, kritisierte, dass noch 1995 das Jahr 2000 als frühester Beitrittstermin genannt wurde. 1998 habe man von 2003 gesprochen, und nun werde 2005 als realistisch angesehen. Wenn die EU ihre Pläne ein weiteres Mal über den Haufen wirft, sind weitere Enttäuschungen bei den Bewerbern vorprogrammiert.
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