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Mann = 1, Frau = X

Der Bundestag hat entschieden: Frauen können, wenn sie wollen, als Soldatinnen Dienst an der Waffe tun. Eines Tages könnten sie, wenn sie wollen und Mann sie lässt, womöglich gar Mafiabossinnen werden. Sind Frauen und Männer nun prinzipiell gleich oder doch ziemlich anders? Eine Frage der Geschlechterarithmetik

von UTE SCHEUB

Die Zustimmung des Bundesrats ist nur noch Formsache: Jetzt dürfen Frauen in der Bundeswehr also auch mitschießen. Nicht nur hierzulande, in vielen Ländern erobern Frauen immer mehr männliche Machtpositionen. Im Gleichmarsch schreitet die Gleichstellung voran, unaufhaltsam, immer weiter. Aber bringt uns das auch selber voran? Nicht nur unsere Karrieren, sondern auch unser Lebensglück?

Nein, sagen die einen. Wir wollen weder Mörderinnen noch Managerinnen von Rüstungsunternehmen noch Mafiabossinnen werden. Da spucken wir drauf. Wir wollen doch nicht so werden wie die Kerle, verstümmelt an Leib und Seele, aggressiv und kaputt.

Nicht doch, sagen die anderen. Erstens wollen wir endlich dieselben Rechte wie die Männer. Zweitens ist das Militär die stärkste und gewalttätigste Bastion des Patriarchats, sie zu schleifen ist strategisch besonders wichtig. Die Arbeitsteilung, nach der seit Jahrtausenden das männliche Geschlecht für das Töten zuständig ist und das weibliche für das Leben, für das Kinderkriegen, die muss aufhören.

Für beide Positionen sprechen also gewichtige Argumente. Die Frauenbewegung – oder das, was von ihr übrig blieb – ist scheinbar gezwungen, die strategische Entscheidung zu fällen: Differenz oder Gleichheit?

1 + 1 = 1 und ein bisschen. Die Konstitutiven unserer abendländischen Kultur, die sich heutzutage zur selbst ernannten Mutter aller Kulturen aufgeschwungen hat, entstanden im antiken Griechenland. Die männlichen Führer der griechischen Stadtstaaten („Polis“) waren die Ersten, die das Leben der Menschen in eine öffentliche „männliche“ und eine private „weibliche“ Sphäre auftrennten und rechtlich höchst ungleich bewerteten. Die Männer durften sich öffentlich versammeln, debattieren und wählen und sich bewaffnen, erhielten also alle Bürgerrechte.

Aus den Beziehungen dieser waffenfähigen Männer ging letztlich unsere Demokratie hervor. Die Waffen schienen das einigende Element zu sein: „Ich kann dich verletzen, du kannst mich verletzen, also sind wir gleich.“ Aus diesen Beziehungen „von gleich zu gleich“ entstanden die Märkte, die Staaten, die Menschenrechte, also sehr vieles, was die herrschende Staatsdoktrin des „parlamentarischen Rechtsstaates“ ausmacht.

Die Frauen aber lebten damals nicht viel besser als die Sklaven, ungefähr so wie im heutigen Afghanistan. Sie durften ihre Gemächer nicht verlassen und standen unter lebenslanger Vormundschaft ihres Vaters, ihres Gatten oder, bei deren Abwesenheit, von öffentlichen Beamten. Man machte ihnen sogar die Anerkennung der Mutterschaft streitig. Die Frau sei bloß Stoff, nur ein Gefäß für die männliche Kraft des Samens, predigte Aristoteles. Ein Kind entstehe dann, wenn der Samen auf das Menstruationsblut treffe. Orest, in der nach ihm benannten Tragödie wegen Muttermordes angeklagt, wurde wegen Nichtverwandtschaft freigesprochen. „Nicht ist die Mutter eines Kindes Zeugerin“, verkündet der Gott Apollo, „sie hegt und trägt den eingesäten Samen nur ...“ Eine Überzeugung, die noch im Mittelalter und in den Anfängen der Neuzeit felsenfest galt.

Aristoteles gehörte also zu den Ersten, die 1 + 1 nicht zusammenzählen konnten. 1 + 1 sei weniger als 2, behauptete er: „Das Weib ist Weib durch das Fehlen gewisser Eigenschaften.“ Und: „Wir müssen das Wesen der Frauen als etwas betrachten, was an einer natürlichen Unvollkommenheit leidet.“ Allen voran diesem griechischen Philosophen haben wir es zu verdanken, dass der Mann das Maß des Menschen, der Mann das Allgemeine, die Frau das Besondere geworden ist, so etwas wie ein minderwertiger Mann, der erst noch beweisen muss, dass er = sie ihren Mann stehen kann. Institutionen wie das Militär oder die Polizei sind aristotelische Fallen. Männer lassen ihre weiblichen Kollegen per Mobbing, Anmache oder gar Vergewaltigungen signifikant häufiger als anderswo spüren, dass Frauen in ihren Augen hier nichts zu suchen haben.

Warum konnte sich eigentlich eine höchst besondere Beziehungsform, nämlich die zwischen waffenfähigen Männern, als die einzig wichtige etablieren? Wie hätten eigentlich Demokratie, Staat und Markt ausgesehen, die aus den Beziehungen zwischen Frauen untereinander oder zwischen Müttern und Kindern oder auch zwischen Frauen und Männern entstanden wären?

Aber das alles sind müßige Fragen. Die von den alten Griechen etablierte Geschlechterapartheid hat dafür gesorgt, dass öffentliches Recht und Familienrecht noch heute strikt getrennt sind, dass Frauen – und auch Kinder! – für lange Zeit in den vorgesellschaftlichen Raum ausgeschlossen wurden und als Eigentum der Männer galten. Als die „Gesellschaft der Revolutionären Republikanerinnen“ im Frankreich des Jahres 1792 eine weibliche bewaffnete Nationalgarde bilden wollte, verbot der Konvent kurz darauf alle Zusammenschlüsse von Frauen als „sittenwidrig“ und „unnatürlich“. Olympe de Gouges, die für die Ausdehnung der Menschenrechte, die in Wirklichkeit reine Männerrechte waren, auf die Frauen stritt, wurde als öffentliche Frau, ergo Hure, beschimpft und schließlich guillotiniert.

In vormodernen Japan der Edo-Periode war es die Prostitution, die die bürgerliche Ordnung mit hervorbrachte. In öffentlichen Häusern trafen sich hochstehende Samurai-Junggesellen und niedrige Diener und feierten ihren freien und gleichen öffentlichen Zugang zu weiblichem Fleisch. Die bürgerliche Ordnung der „Freien und Gleichen“ entstand als Allianz sich selbst bestätigender Männlichkeit, die um freien Zugang zu allen Ressourcen kämpft: Frauen, Kinder, Geld, Rohstoffe, Länder.

1 + 1 = viele. Als Judith Butler 1990 „Gender Trouble“ veröffentlichte, feierten viele Feministinnen ihr Buch als Befreiungsschlag. Endlich wurde nicht nur die Ungleichheit, sondern überhaupt jede Differenz der Geschlechter als künstliche und im Diskurs erzeugte entlarvt. Endlich dräute am Horizont eine neue, eine ungeahnte Freiheit: im parodistischen Maskenball der vielen Geschlechter mitzutanzen, mitzufeiern, ungestraft von einer Verkleidung in die andere schlüpfen zu können. Butler, und das macht ihren ganzen Erfolg aus, wusste nicht nur die verqueeren Leidenschaften, sondern auch die uralten androgynen Sehnsüchte in uns allen meisterhaft zu bedienen.

1 + 1 = viele, so lautet seit Butler die neue feministische Arithmetik. Sie ist zweifellos originell, aber stimmt sie denn auch? Selbst wenn es uns irgendwann frei nach Marx gelingen könnte, im Reich der Freiheit morgens Mann, mittags Frau und abends Hermaphrodit zu spielen, selbst dann hätte sich die Anzahl der Geschlechter nicht auf über zwei erhöht. Auch der Hermaphrodit ist ja nur eine Mischung aus zwei Geschlechtern und kein neues drittes. Auch die Lesbe kann die Geschlechteridentitäten nicht auflösen, denn sie bezieht sich ja explizit auf ein Geschlecht, indem sie Frauen liebt.

Und: Die kinderlose weiße Akademikerin mag sich auf Butlers bunten Maskenbällen vergnügen, doch für Milliarden von Frauen und Mädchen auf der Welt sind diese unerreichbar. Butler, die jeder Kategorie so lange nachweist, dass sie historisch geworden und konstruiert ist, bis nichts mehr übrig ist als leerer Raum, diese Judith Butler ist selbst ein historisches Produkt. Sie kann nur so reden, weil sie bestimmte Privilegien erlangt hat: Ihre Gebärfähigkeit wurde ihr nie zum Fluch, ihr eigener Körper nie zur Lebensdeterminante. Ihre Theorie passt hervorragend in den Individualisierungsfimmel und Machbarkeitswahn der neuen technokratischen Eliten: Wenn dir dein Geschlecht nicht passt, dann kaufst du dir halt morgen ein neues.

1 + 1 = 2. Die Theorie der US-Amerikanerin Butler wurden in Deutschland bejubelt, während die Theoretikerinnen der Geschlechterdifferenz aus Frankreich und Italien eher Naserümpfen ernteten. Die „Politik der Differenz“, entwickelt von Luisa Muraro und den Frauen um den Mailänder Frauenbuchladen, wurde von Alice Schwarzer ein ums andere Mal als äh-bäh denunziert, als essentialistisch und biologistisch, und viele plapperten ihr nach, ohne je eine Zeile der Mailänderinnen gelesen zu haben.

Die Anhängerinnen der Differenztheorie scheinen die Arithmetik jedoch eindeutig besser zu beherrschen. 1 + 1 = 2 Geschlechter, behaupten sie steif und fest. Der aristotelische Mann als Maß aller Dinge, so fordern sie, müsse abgelöst werden durch zweierlei Maß. Und wie Judith Butler auf ihre vielen Geschlechter kommt, ist ihnen ein Rätsel.

Der Vorwurf des Essentialismus und Biologismus trifft sie auch nicht unbedingt. Die meisten „Unterschiedlerinnen“ behaupten nun nicht, die Geschlechterdifferenz bestehe schon immer und ewig in dieser Weise wie heute. Dem Theorem, dass die Differenzen historisch entstanden und in einer androgyn organisierten Gesellschaft bis auf die rein anatomischen Unterschiede auch wieder auflösbar wären, würden die meisten von ihnen nicht widersprechen. Sie interessieren sich nur nicht besonders für diese Fragen, dafür aber umso mehr für die aktuelle Praxis, für das Agieren von Frauen im Hier und Jetzt einer geschlechterpolarisierten Gesellschaft.

Mit Wortungetümen wie der Hamburger „Leitstelle zur Gleichstellung der Frauen“, denen die Eierschale des aristotelischen Mangeldenkens noch anhaftet, löst man bei manchen von ihnen nur Heiterkeit aus. Für sie ist Gleichstellung eine Art Gleichschaltung. Stattdessen beharren sie auf ihrer Andersartigkeit als produktiver Ressource und als Mittel der Distanz zur Machtwelt des weißen amerikanischen Mittelschichtsmannes. Wer sich eine strategische Verbindung zwischen feministischer Subversion und linker Machtkritik wünscht, der ist bei ihnen besser aufgehoben als bei der langweiligen Interessenspolitik der Weichenstellung der Gleichstellung.

Und noch etwas zeichnet viele Differenztheoretikerinnen aus: ihr Denken in Beziehungen. Aristoteles, Descartes oder Nietzsche, die meisten abendländischen Denker haben sich immer nur abgemüht, das autonome Ich auf den Sockel zu heben, den freien Bürger, den einsamen, starken, willensstarken Übermenschen, der selbstverständlich männlich und nebenbei auch noch ziemlich oft bewaffnet ist. Nabelschnurbeißer allesamt, die jegliche Bindung leugnen. Früher deklamierten sie „cogito ergo sum“, heute gehen sie an die Börse und zeigen, bindungslos wie sie sind, keinerlei Skrupel, ganze Länder und Kontinente mit ihren gigantischen Spekulationen ins Verderben zu reißen.

Dieser kaputten patriarchalischen Ordnung versuchen einige Differenzialistinnen die „symbolische weibliche Ordnung“ entgegenzusetzen. Eine Ordnung, die Bindungen nicht leugnet, sondern lebt, und die jeden Moment neu entstehen kann, sobald sich eine Frau positiv auf eine andere bezieht. „Das Patriarchat ist zu Ende. Die Frauen glauben nicht mehr daran, und damit ist es zu Ende“, so lautet der erste Satz eines Buches des Mailänder Autorinnenkollektivs. Dieser Satz hat es in sich. Gegen die alte durchorganisierte Ordnung des männlichen Machbarkeitswahns setzen sie ihre unvollkommene neue: 1 + 1 = 2.

Aber ist am Ende nicht wichtiger, was man zählt, statt wie man zählt? Gleichheit + Differenz! Macht zusammen ebenfalls 2.

UTE SCHEUB, Jahrgang 1957, lebt als freie Autorin in Berlin

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