: Wider Spielenot und Hundekot
Zwischen Schanzenbahnhof, Schulterblatt und begrünter Bombenlücke: In Eimsbüttel-Süd arbeiten zwei Stadtplanerinnen an Konzepten gegen den Verfall ■ Von Sven-Michael Veit
Es gibt sicher weniger anstrengende Jobs in dieser Stadt. Aber die seien dann „auch nicht so spannend“, glaubt Barbara Kayser. Permanent klingelt das Telefon, ständig kommen Leute in das kleine Büro in der Eimsbüttler Chaussee, die irgendwas wissen oder sich über irgendwas beschweren wollen, und das Gutachten soll auch noch rechtzeitig fertig werden.
Seit einem Jahr führen Kayser und ihre Kollegin Julia Dettmer das durch, was im Behördendeutsch „vorbereitende Untersuchungen nach § 141 des Baugesetzbuches in dem Quartier Eimsbüttel-Süd / St. Pauli-Nord, Sternschanze“ heißt. Unzählige Male sind die beiden Planerinnen der Stadtentwick-lungsgesellschaft durch das Viertel gegangen und haben Fakten gesammelt: über Grünanlagen und Kinderspielplätze, über Bausubstanz und Verkehrsaufkommen und Parkbuchten. Und über die Sozialstruktur eines Quartiers, das manche auf dem Weg zum Slum wähnen, andere hingegen für aufregend bunt halten.
Um die Jahreswende wollen sie ihre Untersuchung abschließen. Zunächst wird im Sanierungsbeirat, der sich am 1. November konstituierte, diskutiert und beratschlagt und erwogen und verworfen und geändert und verbessert werden, bevor die Politiker im Bezirk Eimsbüttel, die Stadtentwicklungsbehörde und letztlich der Senat sich des Themas annehmen – und das Quartier, so das Nahziel, als Sanierungsgebiet ausweisen.
Dann stünden ein paar Millionen Mark zur Verfügung, um die Gegend mittels Häusersanierung wohnlicher und durch ergänzende soziale Maßnahmen lebenswerter zu machen. „Angebote schaffen für die Menschen hier“, sagt Kayser, ist neben dem Erhalt von Bausubstanz das wesentliche Ziel der sozialen Stadterneuerung.
Zum Beispiel in der Schule Altonaer Straße, die auf dem Weg zu einer „Stadtteilschule“ ist. Der Pausenhof, vor dem noch immer ein Schild „Schulfremden das Betreten des Schulgeländes untersagt“, soll begrünt und „zum Quartier geöffnet“ werden. Spielplatz und Freizeittreff für Kinder und Jugendliche soll er künftig sein. „Das ist doch eine Ressource“, findet Dettmer, „die kann man doch nutzen für die Menschen hier.“
Mit dem SC Sternschanze geht die Schule gerade eine Kooperation ein. In der Turnhalle wird der Club, der „die Grenzen zwischen traditionellem Sportverein und traditioneller Kinder- und Jugendarbeit überwinden“ will, eine Art Fitness-Studio anbieten. „Ein ganz tolles Projekt“ sei das, meint Dettmer ebenso wie der Sanierungsbeirat, der aus dem Verfügungsfonds 5000 Mark für Hanteln und Drückbänke bewilligte. Unter Anleitung eines Sportpädagogen sollen vor allem Jungmänner ihre überschüssige Kraft hier lassen können und nebenbei auch noch was für ihre Gesundheit tun. „Positive Umlenkung von Energien“, nennt das Kayser. Das sei auch eine Form von Sucht- und Gewaltprävention: „Wem das Spaß macht, der rutscht vielleicht nicht so schnell ab, hier im Viertel.“
Von der Waterloo- und Belle-alliancestraße im Norden erstreckt sich das Sanierungsgebiet in spe bis zur Susannenstraße und von dort ostwärts zur Schröderstiftstraße. Schulterblatt und Schanzenbahnhof gehören zum Arbeitsbereich von Dettmer und Kayser, der Sternschanzenpark mit dem ewigen Ärgernis Wasserturm ebenso, Rote Flora und Fixstern liegen an der Gebietsgrenze, und nebenan auf der anderen Seite der S-Bahnlinie tobt im Karoviertel die Diskussion über die Messeerweiterung.
„Erhebliche Probleme im Zusammenhang mit der Drogenszene“ hatte der Hamburger Senat registriert, als er im Mai vorigen Jahres den Untersuchungsauftrag erteilte, auch „Anzeichen zu einem Verfall des Quartiers“ seien ihm aufgefallen. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosen liegt weit über dem Hamburger Durchschnitt, die der ausländischen Bewohner ebenfalls, Wohnverhältnisse und soziale Infrastruktur weit darunter. Freizeitangebote für Senioren ebenso wie für Kinder und Jugendliche sind Mangelware. „Am schlimmsten“ sagt Dettmer, „ist es für die Lückekinder.“ Für die Generation zwischen Spielplatz und Disco, die mangels Alternative irgendwo rumhängt, „gibt es hier fast nichts“.
Außer dem winzigen Bolzplatz im Lindenpark, dieser langen, schmalen und begrünten Bombenlücke zwischen Altonaer Straße und Belle, wie alle hier die Belle-alliancestraße kurz nennen. Vor allem für die drei Kitas rund um den Park ist die Hundescheiße auf Rasen und in Sandkisten „ein ewiges Ärgernis“, berichtet Kayser. In einem offenen Arbeitskreis haben diverse AnwohnerInnen mit Fachleuten deshalb ein Jahr lang Maßnahmen gegen Hundekot und Spielenot ersonnen. Zwei Kinderspielplätze, so das Konzept, sind zu erneuern und zu erweitern, der Spazierweg soll verschwenkt, eine hundefreie Liegewiese geschaffen und in einer Parkecke ein Klo für die Köter eingerichtet werden.
Demnächst wird die Detailplanung im Sanierungsbeirat diskutiert und dann auf einem öffentlichen Hearing vorgestellt, auf dem die Leute aus dem Viertel noch einmal mitreden können. Nächstes Jahr könnte der Umbau beginnen, und im Sommer 2002, so hoffen Dettmer und Kayser, ist alles fertig, sind alle zufrieden und feiern auf dem neubelebten Parkfest „Die Linde rauscht“ ihr selbstgesetztes Zeichen gegen den Verfall.
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