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Nur ein toter Künstler ist ein guter Künstler

■ Der Regisseur Thomas Bischoff hat sich mit seinem Skelettiermesser Goethes „Torquato Tasso“ vorgenommen. Mit einem exzellenten Ensemble inszeniert er im Bremer Schauspielhaus ein eiskaltes, aber subversives Theater

Als Klaus Pierwoß 1994 Intendant am Bremer Theater wurde, erklärte er seine Vorliebe für „kräftiges Theater“ und eröffnete das Schauspiel mit einem drallen, ziemlich klamottigen Dario Fo. In seiner vor wenigen Wochen begonnenen sechsten Saison ist das Bremer Schauspiel zwar nicht kraftlos geworden. Doch im neuen – wagen wir den Begriff mal: – Bremer Stil inszeniert Väterchen Frost immer öfter mit. Eben ging ein unterkühlter „Name“ von Jon Fosse über die Bühne, da treibt jetzt Thomas Bischoff in seiner dritten Bremer Inszenierung dem Personal von Goethes „Torquato Tasso“ jede menschliche Wärme aus.

Schon in seiner ersten Bremer Einstudierung – Schillers „Kabale und Liebe“ – zwängte der Volksbühnen-Regisseur Bischoff die Figuren in sichtbar/unsichtbare Korsetts. Weniger durch die bis zum Hals zugeknöpfte Kostümierung, sondern mehr durch eine Choreographie, die alle DarstellerInnen in virtuellen Kokons gefangen nahm, erzeugte Bischoff da eine eiskalte, doch bis kurz vors Platzen gespannte Stimmung. Ganz ähnlich geht er jetzt bei „Torquato Tasso“ vor, doch die Frage ist, ob der Goethe dazu genauso wie der Schiller taugt.

Den Garten des „italienischen Lustschlosses“ der Vorlage hat Uta Kala als karges, aber elegantes Tablett für menschliche Standbilder hergerichtet. Je nach Beleuchtung sind die umgebenden drei Wände entweder gläsern oder Spiegel, so dass sich dann auch das Publikum drin sehen kann. Denn merke: Wer in einem Glaushaus herumstolziert, sollte nicht mit Steinen werfen. Und merke zwei: Look at yourself, vielleicht ähnelst Du denen da oben ja schon längst.

Da oben nämlich steht der Dichter Tasso und ist umgeben vom Herzog Alfons plus Gefolge, das ihn im doppelten Sinn des Wortes aushalten muss. In Bischoffs Frustschloss ist Tasso kein schwärmerischer, noch immer jünglingshafter Künstler mehr, sondern ein etwas ungehobelter, gelegentlich ungestümer Mann, der sich halb schon mit den Verhältnissen abgefunden hat. Die kunstsinnigen, hier leichenblass gepuderten Damen Leonore eins und zwei sowie die Herren Herzog und Staatssekretär erwarten, beizeiten ungeduldig werdend, ein neues Produkt; am Künstler wie aneinander selbst aber haben diese als Zwangscharaktere dargestellten Figuren so gut wie kein nur irgendwie herzliches Interesse.

Der Text gibt durchaus diese Deutung her, doch in ihrer Konsequenz skelettiert Bischoffs Ausgestaltung alles andere weg. Alles heiter-beschwingte der für den Dichter schwärmenden Frauencharaktere, alles elegant-diplomatische in den Dialogen des Herzogs mit seinem Staatssekretär Antonio, alles nur irgendwie Lustschlossige fällt bei dieser Goetheoperation in den Müll. Die Frauen sind in diesem Szenario plötzlich nur intrigant, die Männer nur finster-machtausübend. Die mit Ausnahme des schwarzen Outfits für den Politikertypus Antonio sommerhellen Kostüme sind da allenfalls eine optische Brechung. Denn übrig bleiben eine Prozedur eiskalter Ränke und einer so zwanghaften wie bemerkenswert beiläufigen Ordnungs-Aufrechterhaltung. Hier wird kein Staat gemacht, hier ist Staat, und der nur an sein Werk denkende Künstler Tasso geistert drin rum als eine Art Störenfried. Deshalb, so die größte, aber konsequente Änderung, bringen ihn die anderen schließlich um – denn nur ein toter Künstler ist ein guter Künstler.

Bei der ins Pathetische vorstoßenden „Kabale und Liebe“ Schillers ging eine solche Reduktion von Anfang an in Ordnung, hier aber fragt man sich beim Einsehen in diese zweistündige Inszenierung: War da nicht noch etwas anderes? Doch mit der Zeit verschwindet solcher Zweifel, denn die Monotonie dieser Inszenierung entfaltet eine zunehmende Kraft. Ein exzellentes Ensemble (Andreas Herrmann, Irene Kleinschmidt, Henriette Cejpek, Peter Pagel und Alexander Rossi) lässt das Regiekonzept hervorragend aufgehen. Eine schlüssige, gemessen an der Idee überzeugende Inszenierung ist da zu sehen und wird vom Premierenpublikum schließlich regelrecht gefeiert.

Allein was lehrt uns das? Dass KünstlerInnen oft unbequeme Menschen sind? Dass ihre Mäzene als Herzamputierte herumlaufen und nur beim Kunstkonsumieren in eine andere Welt flüchten? Bischoff jedenfalls hat mit seiner Show der Untoten radikal einen Klassiker neu aus-, aber auch weggedeutet. Doch das eigentliche Theater findet bei diesem Theater nach dem Theater statt. Denn diese Inszenierung stellt ihr Personal so kalt und herzlos aus, dass man gleich danach den Drang empfindet, das genaue Gegenteil zu tun. So ist dieser „Torquato Tasso“ ein subversives Schauspiel, ein Schauspiel als Therapeutikum.

Christoph Köster

Aufführungen: 11., 24. und 30.11. sowie 3., 7., 13., 20., 25.12. um 20 Uhr; am 17. Dezember um 15.30 Uhr. Zusatztermin: 13. 11., 20 Uhr.

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