: Anfangsjahre in Almanya
Respekt vor der „Gastarbeiter“-Generation: Fatih Akins filmische Familienchronik „Wir haben vergessen zurückzukehren“ dokumentiert ein beispielhaftes Stück türkisch-deutscher Migrationsgeschichte
„Dieses Dorf ist unser Dorf“, singen die Kinder in der Schulklasse, die Fatih Akins Mutter in Hamburg unterrichtet; ein türkisches Volkslied. Für Fatih Akin, keine Frage, ist Hamburg-Altona sein „Dorf“, sein Kiez: Stolz kurvt er mit seinem älteren Bruder Cem im Auto durch das multiethnische Viertel – “Griechen, Türken, Jugos“, schwärmt er – und sinniert dabei über seine Familie.
Über die hat Fatih Akin, der Regisseur von „Kurz und schmerzlos“ und „Im Juli“, einen Dokumentarfilm gedreht: „Wir haben vergessen zurückzukehren“ zeichnet die Chronik einer gänzlich ungeplanten Einwanderung nach und dokumentiert damit exemplarisch ein Kapitel deutscher Migrationsgeschichte. Denn wie die meisten „Gastarbeiter“ in den 60ern wollte auch Akins Vater nur ein, zwei Jahre in Deutschland arbeiten und genug Geld verdienen, um dann in die Türkei zurückkehren. Doch die Jahre verflogen, und aus dem geplanten Zwischenstopp wurde ein Leben in Deutschland.
Im Film sitzt Fatih Akin bei seinen Eltern auf dem Sofa, lässt sich Anekdoten aus deren Anfangsjahren in Almanya erzählen und lenkt den Blick dabei auch auf vergangene Konfikte: darauf, dass die Mutter sich in Deutschland nicht mit der bloßen Hausfrauenrolle zufrieden geben wollte, der Vater aber von solchen Ambitionen gar nicht begeistert war. Die Mutter wurde später Türkischlehrerin an einer Schule. Auf dem Spielplatz lernten die Kinder derweil besser Deutsch als die Eltern und wurden bei Amtsgängen und Arztbesuchen gerne als Dolmetscher eingespannt. Heute bedauern sie, nicht besser Türkisch zu können.
Viele Deutschtürken seiner Generation dürften sich in Akins Familienporträt wiedererkennen. Unspektakulär, aber charmant setzt der seine Chronik in Szene, streift durch vergilbte Familienfotos – Hochzeit, erstes Auto – und untermalt seine Bilder mit textlich passenden Funk-Evergreens wie „I’m going back to my roots“. Das nimmt er ganz wörtlich: Am Ende fliegt er mit seinem Team in die Türkei und klappert dort seine Verwandten ab. Alle Geschwister des Vaters sind dorthin zurückgekehrt. Doch der Aufenhalt in Deutschland hat Spuren hinterlassen: Sein Bier trinkt Onkel Fikret aus einer Souvenir-Tasse aus Hamburg, und seine Frau schreibt nostalgische Gedichte über ihre Zeit an der Elbe. Mit einer gewissen Wehmut denkt sie an die geordneten deutschen Verhältnisse zurück: „Wenn ich heute die Wahl hätte, würde ich lieber in Deutschland sterben“, sagt Tante Türkan: „Die Friedhöfe sind dort sehr gepflegt.“
DANIEL BAX
„Wir haben vergessen zurückzukehren“. Regie: Fatih Akin. Vorführung in Anwesenheit des Regisseurs am 12. 11. ab 20.15 Uhr im Eiszeit-Kino, Kreuzberg, mit anschließender Diskussion
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