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Alles geht nach Plan, fsjo idjott na planu

Kultmusiker Egor Letov im Kaffee Burger: Abrupter emphatischer Beifall, aber keine ernsthaften Zugabeverlangen

20.30 Uhr. Schon über zwanzig Personen anwesend, und das bei einer Veranstaltung, die erst um 22 Uhr beginnen soll. Besetze ein winziges rundes Tischchen im Kaffee Burger, gerade groß genug für Laptop und Bier. Irgendwann erscheint jener Egor Letov, schmieriges Haar und Russisches-Kassengestell-Brille, Mikrofonprobe: „Ras, dwa, tri!“

21.45 Uhr. Schlechte Luft, viel Russisch, auch Haschschwaden. Gespräch mit den Nachbarn, die versuchen, zu beschreiben, was Egor Letov für Russland ist, 7Wyssotzki war ja viel zu pathetisch, ist immer auf die Berge gestiegen und so, aber mit Letov sind sie aufgewachsen, mit ihm waren sie jung und sind sie jetzt erwachsen. Er füllt nicht gerade Stadien mit Menschen. Aber die Gefühle! So? frage ich, also füllt er Stadien mit Gefühlen? Ja, so was in der Art. Scheinbar normales Konzertpublikum im Burger, doch könnten dem Beobachter die etwas breiteren Wangenknochen der Anwesenden auffallen.

22.25 Uhr. Eher zaghafte Versuche rhythmischen Klatschens, 22.30 Uhr fängt’s dann an, viel voller scheint es nicht werden zu können, aber natürlich wird’s noch viel voller. Allein sitzt der Künstler auf einem Stühlchen, spielt auf der E-Gitarre und singt russischen Punk, seine Haare hängen ihm ins Gesicht, was ihn nicht zu stören scheint. Dead-Kennedys-T-Shirt und eine Flaschen Cognac vervollständigen das Ensemble.

Gegen Letov wirkt Bob Dylan geschwätzig, Lied für Lied spielt er, Absage an alles, und Jello Biafra nicht abgeneigt, findet ein Anwesender. Zwischenzeitlich kommt mir der dringende Verdacht, dass er einst mit Band umherzog, dass aber deren Mitglieder schon alle gestorben sind.

Ein junger Mann mit einem Slytanic-Wehrmacht-T-Shirt fällt auf, er strahlt über den Erfolg seines Idols, später erfahre ich, dass dieser 18-jährige Russlanddeutsche dem Künstler die Tickets aus Omsk finanziert hat und dieses Konzert hier also überhaupt erst möglich machte.

Ab 23.20 Uhr werden eigentlich alle Lieder mitgesungen: Alles geht nach Plan, fsjo idjott na planu, ocho, monja moroda, ich hab’s vergessen, du glaubst, dass du nicht stirbst. 23.45 Uhr: Schluss. Abrupter emphatischer Beifall, aber keine ernsthaften Zugabeverlangen. Ob das an der brummenden Rückkopplung liegt? Es kommt alles zusammen, die Legende dieses Mannes, der scheinbar problemlos Hunderte Russen in Berlin mobilisiert, der 18-jährige Ticketkäufer, wie alle mitsingen und ihn ansehen. Neid kommt auf bei mir auf diese russische Gemeinschaft mit ihrem eigenen kulturellen Hintergrund. Noch einige Wodka, und ich würde die russische Seele erwähnen, die unsterbliche.

FALKO HENNIG

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